Wirtschaft/ Digitale Agenda

Christopher Vogt: Wir wollen Schleswig-Holstein zu einer digitalen Vorzeigeregion machen

„Der digitale Wandel ist schon lange keine Zukunftsmusik mehr. Der Wandel verändert nahezu alle Lebensbereiche und damit auch alle Politikbereiche bereits seit Jahren. Und er wird dies in den nächsten Jahren ganz sicher mit weiter zunehmender Geschwindigkeit tun. Das hat erhebliche Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und das bringt natürlich auch sehr viele politische Herausforderungen mit sich. Es muss also darum gehen, wie man Bürgerrechte schützen und wie man die Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen und Generationen und natürlich auch unseren Wohlstand sichern kann.

 

Selbstverständlich beschäftigen sich alle politischen Kräfte schon seit geraumer Zeit mehr oder weniger intensiv mit dieser Entwicklung. Unser Ziel ist es, Schleswig-Holstein zu einer digitalen Vorzeigeregion in Europa zu machen. Bis dahin gibt es noch sehr viel zu tun. Es ist aber möglich. Wir sollten z.B. nach Estland schauen. Dort hat man sehr früh begriffen, dass die Digitalisierung die große Chance zur Modernisierung des Landes ist.

 

Bei uns ist da noch viel Luft nach oben. Ich glaube, Schleswig-Holstein braucht sich in Sachen Digitalisierung aber auch nicht zu verstecken: In unserem Bundesland wurde ja bereits im Jahr 2009 eine Regierung auseinander getwittert. Das ist doch schon mal was.

 

Aber im Ernst: Auch die aktuelle Landesregierung hat die Herausforderungen, die mit der Digitalisierung verbunden sind, offenbar auf dem Schirm. Meine Fraktion ist jedoch der Meinung, dass wir hier im Hohen Hause dieser Entwicklung nicht weiter im Schneckentempo hinterherkriechen sollten.

Und wir sind auch der Meinung, dass es dem Parlament Ende des Jahres 2016 gut zu Gesicht steht, bei der Digitalen Agenda nicht weiter auf eine Regierungsvorlage zu warten, sondern sich mit Vorschlägen aus der Mitte des Parlaments auseinander zu setzen.

 

Aus diesem Grund haben wir Ihnen heute einen entsprechenden Antrag vorgelegt, der im Wesentlichen die Kurzversion eines Positionspapiers darstellt, das unsere Fraktion in den letzten Monaten erarbeitet hat. Ich bekenne ganz offen, dass das eine gewisse Herausforderung für uns war. Die Digitalisierung ist zwar kein Neuland für uns, aber das Thema ist schon sehr komplex, um es mit unseren Mitteln sinnvoll aufzubereiten.

 

Wenn in Deutschland politisch über die Digitalisierung diskutiert wird, dann geht es ja meistens um die Ängste, die damit verbunden sind: Um die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust, um die Angst vor Entmenschlichung oder auch um die Angst vor dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Meine Fraktion ist der Meinung, dass dies eine suboptimale Herangehensweise ist. Natürlich hat jede große Entwicklung nicht nur Vor-, sondern auch Nachteile. Aber es bringt doch nichts, wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen. Ich will Sie hier jetzt nicht zu „German Mut“ auffordern, aber ich bin der Meinung, dass man offensiv mit diesem Thema umgehen muss. Dann werden auch die Vorteile überwiegen.

 

Wir haben insgesamt neun politische Handlungsfelder identifiziert und ich möchte Ihnen einige Beispiele nennen, wo wir zu dem Schluss gekommen sind, dass der Staat bzw. die Politik handeln sollte: Es muss aus unserer Sicht zunächst um einige grundsätzliche Dinge gehen: Der Staat muss Netzneutralität gewährleisten, Bürgerrechte schützen und z.B. Daten nur bei konkretem Anlass speichern. Wir plädieren für eine Klarstellung beim „Recht auf Vergessen werden“ und beim Thema digitaler Nachlass - also wenn jemand verstirbt. Die sogenannte „Störerhaftung“ muss endlich vollständig abgeschafft werden, denn ansonsten werden wir es in Deutschland nie schaffen, ein annähernd flächendeckendes WLAN-Netz zu spinnen.

 

Der Staat muss seine Verwaltung in höherem Tempo als bisher digitalisieren: So sollte die Kommunikation mit dem Bürger zukünftig weitestgehend papierlos möglich sein und die Einrichtungen und Liegenschaften in der Zuständigkeit des Landes sollten offenes WLAN anbieten.

Wir sprechen uns für Transparenzportale aus, auf denen Verwaltungsdaten, die keine personenbezogenen Daten oder Betriebsgeheimnisse beinhalten, den Bürgern und Unternehmen öffentlich zugänglich gemacht werden. Und wir sprechen uns für eine verstärkte Präsenz der Landesbehörden im Internet - insbesondere in den sozialen Netzwerken - aus, um die Bürger besser zu informieren.

 

Die Digitalisierung ist aber auch eine Herausforderung für die öffentliche Sicherheit: Wir brauchen ein effektives Cyberabwehrzentrum auf Bundesebene, neue Verschlüsselungstechnologien und bessere Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten bei der Landespolizei im Bereich der digitalen Kriminalitätsbekämpfung. Über die Ausstattung von Dienststellen und Dienstfahrzeugen haben wir ja an dieser Stelle bereits mehrfach debattiert. Auch da haben wir nach wie vor großen Nachholbedarf.

Der Bildungsbereich wird sich ebenfalls radikal verändern. Es ist keine Übertreibung, wenn man hier von einer Revolution spricht, die sich da anbahnt. In vielen schleswig-holsteinischen Schulen ist davon bisher aber noch wenig zu spüren. Ich erspare Ihnen an dieser Stelle die zum Teil wirklich erschreckenden Statistiken, aber viele Schulen befinden sich noch immer - im wahrsten Sinne des Wortes - in der „Kreidezeit“.

 

Hier wird man sich unter anderem um die Digitalisierung von Lernmaterialien und um eine landesweite E-Learning-Plattform kümmern müssen. Das geplante milliardenschwere Investitionsprogramm des Bundes begrüßen wir ganz ausdrücklich. Das hatte meine Partei ja auch gefordert. Es muss dabei allerdings auch darum gehen, dass das für die Digitalisierung der Schulen benötigte Personal zur Verfügung gestellt wird.

Es wird eine gewaltige Herausforderung sein, sehr viele Lehrkräfte möglichst schnell für die Vermittlung digitaler Kompetenzen fit zu machen. Wir plädieren dafür, dass bereits ab der Grundschule die digitale Medienkompetenz und - natürlich altersgerecht - auch bereits die Vermittlung von Programmiersprachen auf dem Lehrplan stehen sollten. Das wird in Zukunft quasi eine der ersten Fremdsprachen werden. Die Hochschulen des Landes sollten finanziell in die Lage versetzt werden, die Zahl der Online-Studiengänge sowie der online abrufbaren Vorlesungen und Seminare deutlich zu erhöhen.

 

Auch unsere Wirtschaft verändert sich durch die Digitalisierung spürbar: Und das ist in mehrfacher Hinsicht eine große Herausforderung für unsere Wirtschaftsordnung. In der Sozialen Marktwirtschaft spielt ja das Kartellrecht eine wichtige Rolle. Apple und noch viel mehr Google und Facebook zeigen uns, dass es deutlich schwerer geworden ist, die Dominanz einzelner Konzerne einzugrenzen. Wir profitieren von den scheinbar kostenlosen Angeboten, zahlen aber mit unseren Daten, die zu einer Art neuen Weltwährung geworden sind.

 

Das werden wir auf Landesebene nicht lösen können. Für das Land schlagen wir im Bereich der Wirtschaft eine Strategie zur Unternehmensgründung und -ansiedlung vor und die Einrichtung von sogenannten One-Stop-Shops - also echten zentralen Ansprechpartnern für Unternehmensgründer. Die Fort- und Weiterbildung wird man anpassen müssen und natürlich auch die berufliche Bildung.

 

Was das Arbeitsleben angeht, fordern wir die gesetzliche Stärkung von flexiblen Arbeitszeitmodellen und des Rechts auf Tätigkeit im Home-Office. Ich verweise da auf unsere niederländischen Nachbarn, die damit aus meiner Sicht sehr fortschrittlich umgehen. Ich glaube, die Digitalisierung kann vielen Arbeitnehmern das Leben erheblich erleichtern, wenn man es in den Unternehmen und eben auch gesetzgeberisch richtig anpackt. Die großen deutschen Gewerkschaften und auch Arbeitsministerin Nahles scheinen dies allerdings noch nicht erkannt zu haben.

 

Meine Fraktion sieht auch große Chancen bei der medizinischen Versorgung. Wie auch beim Thema Arbeit bieten sich hier gerade für den ländlichen Raum ganz neue Perspektiven. Der Landarzt wird in Zukunft zwar trotzdem gebraucht, aber die Telemedizin wird gerade für die Menschen auf dem Land viele Dinge deutlich einfacher und auch kostengünstiger machen. Das gilt übrigens auch für das Thema Mobilität.

 

Abschließend möchte ich zum Thema Infrastruktur kommen: Diese ist natürlich ganz elementar, wenn man von der Digitalisierung profitieren will.

Hier sind auch die Telekommunikationsunternehmen gefragt: Ich verstehe nicht, warum man in Deutschland z.B. beim mobilen Surfen für wenig Datenvolumen so viel mehr zahlen muss als in unseren Nachbarländern. Noch entscheidender ist aber die Versorgung der Unternehmen und Haushalte mit einem Breitbandanschluss.

Die Landesregierung klopft sich in letzter Zeit gern selbst dafür auf die Schultern, dass unser Bundesland bei den Glasfaseranschlüssen im bundesweiten Vergleich vorne liegt. Dies ist jedoch kein Verdienst der Landesregierung, sondern historisch begründet, weil die Telekom hier sehr lange auf Kupfer gesetzt hat. Der im bundesweiten Vergleich hohe Anteil an Glasfaseranschlüssen ist vor allem den engagierten lokalen Anbietern zu verdanken. Man sollte aber nicht vergessen, dass wir im internationalen Vergleich noch immer unheimlich hinterher hinken. Die Kritik von Minister Meyer an der fehlenden Sinnhaftigkeit der Ausbauziele des Bundes teilen wir übrigens ausdrücklich. Das ‚Backbone‘-Konzept des Landes ist im Grundsatz zu begrüßen, um den privatwirtschaftlich betriebenen Breitbandausbau in den nicht versorgten Gebieten sinnvoll zu ergänzen. Hierfür müssen Bund und Land aber deutlich mehr Mittel bereitstellen als bisher vorgesehen. Der Breitbandausbau muss aber auch durch den Abbau von bürokratischen Hemmnissen erleichtert werden.

 

Die Digitalisierung ist also ein weites Feld. Ich möchte vorschlagen, dass wir die Vorlagen in den Ausschüssen weiter diskutieren und dabei auch mit vielen gesellschaftlichen Akteuren ins Gespräch kommen.“