„Die von der Landesregierung vorgeschlagene Reform des Strafvollzuges enthält zweifellos gute Ansätze und sinnvolle Ziele. Das Problem dabei ist nur: Noch nie ist eine gut gemeinte Reform so grottenschlecht vorbereitet worden.
Bereits heute sind die Mitarbeiter in die Justizvollzugsanstalten des Landes ‚bis zum Anschlag‘ belastet, der Krankenstand erreichte in der Zeit, in der dieser Gesetzentwurf beraten wurde, eine Rekordhöhe, und das von der Justizministerin initiierte Betriebliche Gesundheitsmanagement hat ergeben, dass sich ein großer Teil der Beschäftigten im Strafvollzug in einer Überforderungssituation befindet, die ihre Arbeitsfähigkeit nachhaltig gefährdet.
In einer solchen Situation durch gesetzlich vorgeschriebene Aufgaben zusätzliche Anforderungen zu begründen, ist ein grober Verstoß gegen das dem Dienstherrn obliegende Gebot der Fürsorge auch für die eigenen Mitarbeiter.
Das ist eine Politik der Verantwortungslosigkeit und Kaltschnäuzigkeit gegenüber Menschen, die jeden Tag von neuem unter sehr schwierigen Bedingungen ihren Dienst tun.
Insoweit ist es auch entlarvend, dass die Koalitionsmehrheit den Antrag der FDP-Fraktion, eine Analyse des Personalbedarfs für einen modernen Strafvollzug vorzulegen, abgelehnt hat.
Man marschiert lieber mit einem Brett vor dem Kopf durch die Zweite Lesung, als sich Schwarz auf Weiß von Fachleuten vorrechnen zu lassen, welche Rahmenbedingungen für diese Reform derzeit alle nicht erfüllt sind.
Ich nenne hier nur einzelne Beispiele für durch das Reformgesetz begründeten zusätzlichen Anforderungen:
Beispiel 1: Vollzugplan nach § 8 LStVollzG
Sollten die in § 8 LStVollzG genannten Einzelpunkte nicht nur schematisch in Vordrucken abgearbeitet, sondern ernsthaft an den festgestellten Erfordernissen jedes einzelnen Gefangenen orientiert, erhoben und aufbereitet werden, wird dies zu erheblichen Auswirkungen auf die Erstellung der Vollzugspläne führen. Der personelle Mehrbedarf insbesondere im Bereich der zu beteiligenden besonderen Fachdienste dürfte erheblich sein.
Beispiel 2: ‚Ausführungen‘ nach § 54 LStVollzG
Auch die grundsätzliche Verpflichtung (‚soll‘), Gefangene, die sich bereits seit fünf Jahren im Freiheitsentzug befinden, zur Erhaltung ihrer Lebenstüchtigkeit mindestens zweimal im Jahr unter Aufsicht auszuführen, bindet personelle Ressourcen.
Beispiel 3: Kosten für familienorientierten Vollzug nicht korrekt ermittelt
Der Gesetzentwurf soll die Behandlungs- und vor allem auch die Familienorientierung im Straffvollzug weiter ausbauen. Das ist uneingeschränkt zu begrüßen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob zum Beispiel die im Gesetzentwurf genannten Anforderungen an einen Ausbau der Sozialtherapie und die Umsetzung eines stärker familienorientierten Strafvollzugs seitens des Justizministeriums in hinreichender Form dargestellt worden sind oder ob es hier nicht noch einen erheblichen Nachbesserungsbedarf gibt. Für familienunterstützende Maßnahmen entstehen laut Gesetzesentwurf jährliche Kosten in Höhe von etwa 55.000 Euro. Dies scheint eine krasse Fehleinschätzung zu sein.
Das Gesetz weckt Erwartungen, die aufgrund der mangelnden Personalausstattung enttäuscht werden. Durch die Fokussierung auf den Behandlungsvollzug trägt das Gesetz folglich dazu bei, Illusionen zu wecken. Die Betonung des Vollzugsziels ‚Behandlung‘ kann so verstanden werden, als sei jeder in eine Vollzugsanstalt eingewiesene Strafgefangene therapeutisch zu behandeln. Gefangene verwenden den Satz deshalb gern zur Begründung von Forderungen auf das, was sie – berechtigt oder nicht – unter Behandlung verstehen. Trotzdem lässt sich der Behandlungsgrundsatz in der Praxis sinnvoll umsetzen, weil das Spektrum der Bedeutung des Wortes ‚behandeln‘ ein von Fall zu Fall unterschiedliches Verständnis nahelegt.
Bei der noch immer großen Zahl von Gefangenen mit kurzen Strafen wird sich der Strafvollzug jedoch darauf beschränken dürfen und müssen, mit den Gefangenen – etwa im offenen Vollzug – zweckmäßig umzugehen, während einer vergleichsweise kleinen Gruppe von Gefangenen mit schweren Persönlichkeitsstörungen therapeutische Behandlung – etwa in den sozialtherapeutischen Anstalten – angeboten werden müsste.
Zudem ist zu beachten, dass der Behandlungsvollzug für besonders gefährliche Straftäter nicht geeignet ist. Diese Häftlinge hat der Gesetzentwurf nur unzureichend im Blick.
Vollzugsziel ist im Übrigen immer auch der Schutz der Allgemeinheit. Im Gesetzentwurf ist aber semantisch eine untergeordnete Bedeutung des Schutzes der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten klargestellt: Der Vollzug sollte auch dem Schutz der Allgemeinheit dienen.
Zusammenfassend:
Ein Gesetz, das zwar gut gemeint, aber grottenschlecht vorbereitet ist, müssen wir leider ablehnen.“