Gesellschaft/Justiz

Dr. Heiner Garg: Der heutige Beschluss muss ein klares und unmissverständliches Versprechen sein

„Von den Alliierten aus den Konzentrationslagern befreit und in der noch jungen Bundesrepublik strafrechtlich verfolgt und eingesperrt: Das war allein in Westdeutschland für rund 50.000 homosexuelle Männer Realität in der noch sehr jungen Demokratie.

 

Diese Männer wurden strafrechtlich verfolgt, verurteilt, sie wurden gesellschaftlich geächtet, oft ihre Familien und Existenzen vernichtet: Alltag für homosexuelle Männer in der Bundesrepublik der 50er und 60er Jahre.

 

Die meisten von ihnen, die heute noch leben, leiden immer noch. Sie leiden zumeist still. Sie konnten nie das Leben führen, das sie sich wünschten. Viele von ihnen waren und sind gebrochene Menschen.

 

Auf der Grundlage eines Strafrechtsparagrafen aus dem Jahr 1872, der zur Nazizeit (1935) noch einmal verschärft wurde, nahm man ihnen ihre Würde.

 

Was ihnen angetan wurde, kann nicht wieder gut gemacht werden.

 

2002 beschloss der Bundestag eine Gesetzesänderung, die alle in der Nazizeit erfolgten Verurteilungen für nichtig erklärte. Männer, die nach dem Krieg verurteilt wurden, sind dagegen bis heute nicht rehabilitiert.

 

Wir können uns heute – so wie ich das schon aus der Plenardebatte am 11. Dezember 2014 vernommen habe – dafür einsetzen, dass endlich mit einer vollständigen Rehabilitierung dieser Männer endlich der Versuch unternommen wird, ihnen ihre Würde wiederzugeben.

 

Zugleich soll der heutige Beschluss auch ein klares und unmissverständliches Versprechen für Gegenwart und Zukunft sein:

 

‚Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.‘

 

Zur Geschichte des § 175 StGB in der Bundesrepublik: Mit der Reform des Strafgesetzbuches im Jahr 1969 (kurz vor Ende der Großen Koalition von Bundeskanzler Kiesinger) wurde der Paragraph 175 zum ersten Mal in der Bundesrepublik geändert. Homosexualität unter erwachsenen Männern über 21 war nun keine Straftat mehr.

 

Am 23. November 1973 führte dann das Kabinett Brandt II eine umfassende Reform des Sexualstrafrechts durch. Der entsprechende Abschnitt im StGB wurde von ‚Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit‘ in ‚Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung‘ umbenannt. Ebenso wurde der Begriff der Unzucht durch den der ‚sexuellen Handlungen‘ ersetzt. Im § 175 blieb nur noch der Sex mit Minderjährigen als qualifizierendes Merkmal zurück, wobei man das sogenannte Schutzalter von 21 auf 18 Jahre absenkte.

 

Sexuelle Kontakte zwischen Frauen fanden im Strafgesetz keine Erwähnung. Für Mädchen galt ein Schutzalter von 14 Jahren. Mit dem damaligen § 182 konnte auf Antrag eines Erziehungsberechtigten der sexuelle Kontakt eines erwachsenen Mannes mit einem Mädchen zwischen 14 und 16 geahndet werden. Am 2. Oktober 1973 bestätigte das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss diese Fassung als verfassungskonform.

 

Auch verfassungsrechtlich steht der vollständigen Rehabilitierung der verurteilten Männer nichts im Wege:

 

Die verfassungsrechtliche Legitimation für staatliche Rehabilitierungsmaßnahmen knüpft an den Strafmakel an, mit dem die nach § 175 StGB verurteilten Männer bis heute leben, da die mit den Verurteilungen verbundene ‚Kriminalisierung‘ fortbesteht. Verfassungsrechtlich ist dieser Strafmakel deshalb Impuls für Rehabilitierungsmaßnahmen, weil die Verurteilungen auf einer Norm beruhen (§ 175 StGB), die nach heutigem Verständnis gegen das Grundgesetz verstößt. Grundlagen des staatlichen Rehabilitierungsauftrags sind die grundrechtliche Schutzpflicht sowie das Rechts- und das Sozialstaatsprinzip.

 

Der Staat ist verpflichtet, die Vereinbarkeit des Strafmakels mit dem Grundgesetz zu überprüfen und sein bisheriges Unterlassen neu zu bewerten. Die Aufhebung der einschlägigen Strafurteile würde auch nicht am Bestehen belastbarer (verfassungsrechtlicher) Grenzen scheitern.

 

Abschließend danke ich den Kolleginnen und Kollegen: Denn heute ist ein guter Tag, weil der Schleswig-Holsteinische Landtag ein unmissverständliches Zeichen setzt, dass sich die Bundesrepublik zu diesem staatlichen Unrecht bekennen und diesen Fehler endlich korrigieren soll.“