Jan Marcus Rossa zu TOP 14 "Humanität bei Rückführung in unsichere Staaten"

JMR

In seiner Rede zu TOP 14 (Humanität bei Rückführung in unsichere Staaten) erklärt der innenpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Jan Marcus Rossa:

,,Ich bin doch einigermaßen überrascht, welchen Inhalt unsere bisherigen Redner in unseren Koalitionsvertrag hineininterpretieren. Wir wollen noch einmal in den Koalitionsvertrag hineinschauen und bewerten, wie die gegenwärtige Situation ist.

Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, bei der Rückführung in Staaten mit besonders unübersichtlicher Sicherheitslage wie damals in Afghanistan in jedem einzelnen Fall das zuständige Ministerium prüfen zu lassen, ob eine Rückkehr nach humanitären Gesichtspunkten zu verantworten ist. Und das ist die Regelung, die bis heute gilt. Und ich werde auch nicht zulassen, dass diese in Frage gestellt wird.

Wir haben uns nicht darauf verständigt, dass wir ausschließlich Straftäter, Gefährder oder Menschen, die sich einer Identitätsfeststellung entziehen, nach Afghanistan abschieben werden. Wir haben folgendes vereinbart:

Wenn wir hier in Schleswig-Holstein der Auffassung sind, dass die Sicherheitslage in irgendeinem Land, und das muss nicht Afghanistan sein, unübersichtlich ist, dass wir das dann in jedem Einzelfall prüfen werden, ob eine Rückführung unter humanitären Gesichtspunkten gerechtfertigt ist oder nicht. Auch haben wir mit keinem Wort im Koalitionsvertrag vereinbart, dass für uns eine Lagebewertung der Bundesregierung maßgeblich sein soll. Das haben wir so nicht geregelt, sondern wir greifen darauf zurück, bewerten diese Sicherheitsbeurteilung des Bundes und ziehen sogar die Bewertungen von internationalen Hilfsorganisationen hinzu. Was bitte werfen Sie uns vor?

Sie tun ja so, als wollten wir jetzt beliebig abschieben und rückführen ­ das stimmt aber einfach nicht und das stimmt auch in Zukunft nicht.

Und jetzt komme ich zum Antrag des SSW. Ich fühle mich ja durchaus geehrt, wenn die Opposition unseren Koalitionsvertrag abschreibt. Aber dann habe ich mich gefragt, ob wir den Koalitionsvertrag heute wohl mit demselben Wortlaut abgeschlossen hätten wie damals vor fast zwei Jahren. Und die Antwort ist eindeutig: Natürlich nicht, denn seit Mai 2017 hat sich so einiges getan, was wir in unserem Koalitionsvertrag ­ anders als Sie in Ihrem heutigen Antrag ­ anders geregelt hätten. Denn die Bundesregierung beurteilt die Sicherheitslage in Afghanistan seit Juni letzten Jahres anders als noch 2017.

Damals war die Sicherheitslage in Afghanistan nach der Lagebewertung der Bundesregierung unübersichtlich und Abschiebungen kamen allenfalls für Straftäter und Gefährder in Betracht. Seit Juni 2018 ist die Lagebewertung in Afghanistan nach Ansicht der Bundesregierung nicht mehr unübersichtlich, so dass Rückführungen weitgehend ohne Einschränkung möglich sein sollen. Ich werde meine persönliche Meinung zu der Lagebewertung der Bundesregierung nicht verheimlichen: Ich habe erhebliche Zweifel daran, dass die Verhältnisse in Afghanistan sich so weit verbessert haben, dass wir Familien mit Frauen und Kindern, aber auch unbescholtene Männer in dieses Land bedenkenlos zurückführen können. Ich zweifle hier und heute die Richtigkeit des Lageberichts der Bundesregierung ausdrücklich an und erwarte von der Bundesregierung, dass sie die Lagebewertung umgehend überprüft. Es ist schon erstaunlich, dass Hilfsorganisationen unisono die Sicherheitslage in Afghanistan so ganz anders beurteilen und es würde mich nicht wundern, wenn auch Verwaltungsgerichte die Sicherheitslage kritischer einschätzen werden.

Deshalb hätten wir den Koalitionsvertrag heute ganz anders formuliert und das wäre auch für Ihren Antrag richtig gewesen. Wir hätten wohl geregelt, dass auch bei Rückführungen in Staaten, bei denen begründete Zweifel an einer Lagebewertung der Bundesregierung bestehen, wie derzeit im Fall von Afghanistan, die Landesregierung diese Lagebewertung überprüfen wird.

Dabei wird sie sich insbesondere auf Erkenntnisse des UNHCR, des Internationalen Roten Kreuzes und anderer internationaler, in dem jeweiligen Land tätigen Hilfsorganisationen stützen müssen. Sollten die begründeten Zweifel an der Lagebewertung nicht ausgeräumt werden können, wird die Landesregierung auch weiterhin in jedem Einzelfall prüfen, ob die Abschiebung mindestens vorübergehend ausgesetzt werden muss.

Ich bin mir sicher, auch ohne eine entsprechende Regelung im Koalitionsvertrag und ohne Ihren Antrag wird sich die Landesregierung in der Frage von Rückführungen nach Afghanistan oder andere Länder mit vergleichbarer unsicherer Sicherheitslage entsprechend verhalten und stets Einzelfallprüfungen vornehmen.

Ihren Antrag brauchen wir nicht, wir werden ihm aber trotzdem zustimmen, weil es einfach ein gutes Gefühl ist, dass wir in unserem Koalitionsvertrag Vereinbarungen getroffen haben, die auch die ausdrückliche Zustimmung der Opposition finden.

Aber ich weise auch darauf hin, dass wir in der Frage der Rückführungen in Länder mit unklarer Sicherheitslage schon weiter sind als Sie, weil wir die Forderung wirklich ernst nehmen, dass Humanität vor Rückführungen kommt, und setzen diesen Grundsatz auch in den Fällen um, in denen wir Zweifel an einer neuen, möglicherweise verharmlosenden Lagebewertung haben!"