Stephan Holowaty zu TOP 29 „Für Rechtsstaatlichkeit in der gesamten EU“

Stephan Holowaty

In seiner Rede zu TOP 29 (Für Rechtsstaatlichkeit in der gesamten EU) erklärt der europapolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Stephan Holowaty:

„Rechtsstaatlichkeit wird auch weiterhin ein schwieriges Thema in der EU bleiben. Es heißt dort eben nicht ‚Ende gut, alles gut‘. Seit gestern scheint der Streit zwischen Ungarn und Polen auf der einen Seite und der EU auf der anderen Seite vorerst beigelegt. Die Blockade des EU-Haushaltes und der Corona-Hilfspakete ist aufgelöst, und – ganz wichtig – erstmals besteht zumindest eine klitzekleine Aussicht darauf, dass die Vergabe von EU-Mitteln an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien in den Mitgliedsländern gekoppelt werden könnte. Das ist übrigens vor allem auch ein Erfolg für die liberale Parteienfamilie in Europa.

Es darf klar gesagt werden: Gäbe es im Europäischen Parlament noch die alte große Koalition, dann hätte es noch nicht einmal diese minimale Einigung gegeben, dann hätten sich Polen und Ungarn eher vollständig durchgesetzt. Ich erinnere nur daran, dass sich die EVP noch nicht einmal dazu hatte durchringen können, die ungarische Fidesz komplett vor die Tür zu setzen. Die liberalen Parteien bestehen aber zurecht darauf, dass Geld nur in Länder fließen kann, die die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit der EU nicht verletzen. Dennoch, wirklich befriedigend ist es nicht, dass das Thema zunächst lediglich auf die Tagesordnung eines EU-Gipfels kommt. Dabei haben diejenigen, denen Rechtsstaatlichkeit nicht so wichtig ist, nach wie vor beste Karten: Nach den geltenden Verträgen muss der EU-Haushalt einstimmig von allen Mitgliedstaaten beschlossen werden. Das ist das Recht, das sind die Verträge und das geht so einfach nicht weg, so sehr wir es uns auch wünschen würden, unabhängig davon, was wir hier im Landtag beschließen. Immerhin ist es nun gelungen, Polen und Ungarn von ihrem Veto abzubringen und die Rechtsstaatlichkeit auf die Agenda zu setzen.

Das reicht aber nicht, und genau dahin zielt auch der heutige gemeinsame Antrag. Grundlage der EU sind die gemeinsamen Werte. Bisher ist es immer so gewesen, dass die gemeinsamen Werte im Rahmen des Aufnahmeverfahrens eines Beitrittskandidaten genau betrachtet wurden. Die Verhandlungen mit der Türkei stocken genau an dieser Stelle, und zwar völlig zu Recht. Aber wenn ein Staat erstmal Mitglied ist, dann geben die heutigen Verträge kaum wirksame Möglichkeiten zur weiteren Einwirkung. Die Maßnahmen sind nach Artikel 7 Abs. 2 AUEV an die Einstimmigkeit des Europäischen Rates geknüpft. Da liegt der Fehler. Die Menschen in Ungarn und Polen haben sich leider entschieden, Regierungen zu wählen, für die Rechtsstaatlichkeit, die gemeinsamen europäischen Werte eben nicht ganz oben stehen. Wir haben in unserem Antrag nun ganz konkrete Maßnahmen beschrieben, mit denen sichergestellt werden soll, dass die Auszahlung europäischer Mittel an die Einhaltung grundlegender rechtsstaatlicher Verfahren gekoppelt ist. Dies erfordert aber eine grundlegende Reform der Europäischen Union und ihrer Verträge. Wir müssen erreichen, dass sich die EU auf demokratischem Wege weiterentwickeln kann und nicht in Zukunft immer wieder der Haushalt verwendet werden kann, um Partikularinteressen durchzusetzen und gegen die gemeinsamen Werte zu verstoßen.

In der vergangenen Woche ist Giscard d’Estaing gestorben. Vor 20 Jahren hat er den letzten Europäischen Verfassungskonvent geleitet. Eine Europäische Verfassung, verbriefte Rechte und Werte, das würde uns heute eine andere Situation geben. Sie alle kennen das Schicksal des Europäischen Verfassungsvertrages von 2004. In Frankreich und den Niederlanden scheiterten die Volksabstimmungen. Auch heute gibt es Vorschläge für eine Neufassung der europäischen Verträge, einer Reform der europäischen Institutionen. Es ist ein Trauerspiel der großen Koalition in Berlin, dass es noch nicht einmal eine echte Antwort auf die Vorschläge von Emmanuel Macron gibt. Damit wird eine große Chance vertan, damit wird das geeinte Europa nur auf ein weiteres kurzfristiges Durchwursteln eingerichtet, damit bleibt es erpressbar. Die EU steht weiterhin an einem Scheideweg. Soll das vereinte Europa eine kurzfristige Zweck- oder eine langfristige Wertegemeinschaft sein? Die Haushaltsverhandlungen als Hebel zu nutzen, kann die Tür einen kleinen Spalt für Reformen öffnen. Über die Haushaltsverhandlungen allein können wir aber kein dauerhaftes europäisches Haus bauen. Deswegen brauchen wir die in unserem Antrag aufgezeigten strukturellen Reformen der EU.

Was auch immer wir hier im Schleswig-Holsteinischen Landtag mit sicherlich großer Mehrheit beschließen – am Ende liegt es weiterhin am politischen Willen der Menschen gerade in Polen und Ungarn, in ihren demokratischen Wahlen Regierungen zu wählen, für die Rechtsstaatlichkeit und die gemeinsamen Werte des freiheitlichen Europas ganz oben auf der Agenda stehen.“