„Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, aber auch die Flüchtlingspolitik unserer Landesregierung steht langsam aber sicher kurz vor dem Scheitern. Die vielen ehrenamtlichen Helfer, die ein einigermaßen funktionierendes System der Flüchtlingshilfe erst ermöglichen, haben zunehmend Überlastungsbefürchtungen.
Und der Staat zeigt sich weiterhin völlig überfordert. Wenn die Behörden nicht wissen, wie viele Flüchtlingen im Land sind und – was unter dem Aspekt der inneren Sicherheit noch schlimmer ist – mangels Registrierung oder erkennungsdienstlicher Behandlung auch die Identität zahlreicher Flüchtlinge nicht kennen, dann reden wir über staatliches Versagen bei der Bewältigung des Flüchtlingsansturms.
Die Politik schaut dieser Entwicklung wie gelähmt zu. Planlos und hilflos.
Anstatt jetzt sachorientiert und geschlossen Steuerungsinstrumente zu etablieren, um wenigstens einen Teil der verloren gegangenen Handlungsfähigkeit zurückzuerlangen, haben Union und SPD das hier in Rede stehende Asylpaket II mit einer fast beispiellosen Peinlichkeit geschnürt. Nachdem Sie es bereits im November letzten Jahres zum ersten Mal beschlossen hatten, haben Sie erst einmal drei Monate gestritten – und das auf einem Niveau, das seinesgleichen sucht.
Die SPD wollte zwischenzeitlich straffällig gewordene Asylbewerber die Gefängnisstrafe im Heimatland verbüßen lassen und vermeintlich unsolidarischen EU-Mitgliedsstaaten Finanzmittel streichen. Die CDU will eigentlich einen vollständigen Kurswechsel – wobei ständig Maßnahmen gefordert werden, die wahlweise gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder Europarecht oder beides verstoßen – kommt aber an der eigenen Kanzlerin nicht vorbei. Die CSU stellt (in ihren Augen) keine Kanzlerin, weshalb sie dieser eine ‚Herrschaft des Unrechts‘ vorwirft und erwägt die Bundesregierung (der sie selbst angehört) vor dem Bundesverfassungsgericht zu verklagen.
Wenn das SPD-geführte Bundesfamilienministerium im Zuge der Ressortabstimmung einen Gesetzentwurf vorgelegt bekommt und die entscheidende Änderung zwar auffällt, aber offensichtlich nicht verstanden wird – und das obwohl man für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge sogar fachlich zuständig ist – dann wirft das nicht nur ein bedenkliches Licht auf die Arbeitsweise in der Bundesregierung, sondern auch auf die Regierungsfähigkeit der deutschen Sozialdemokratie.
Das Bild, das so in der Öffentlichkeit entsteht, ist jedenfalls erbärmlich.
Die Menschen im Land gewinnen den Eindruck, dass unser politisches System in Krisensituationen in eine Schockstarre verfällt, dass die Exekutive gelähmt und die Legislative gleich verzichtbar ist, weil sie in den entscheidenden Fragen der Flüchtlingspolitik gar nicht mehr gefragt wird.
Das Schlimme daran ist: Sowohl die Art der Debattenkultur als auch der zwischen den Regierungsparteien ausgebrochene Überbietungswettbewerb, schaden nicht nur den Parteien selbst, sondern vor allem dem Parlamentarismus an sich und damit am Ende uns allen. Wenn die regierungstragenden Partien mit einer solch verwirrenden Vielstimmigkeit agieren, um dann auch noch etwas zu beschließen, über das sie sich zuvor noch allen Regeln der Kunst empört haben, dann ist das kein Segen für die große Idee der parlamentarischen Demokratie, sondern der Beginn ihrer sukzessiven Diffusion.
Das gleiche gilt für den Zustand unseres Rechtsstaates. Wenn an mancher Stelle der politische Wille fehlt, geltendes Recht durchzusetzen, dann verlieren die Menschen das Vertrauen in den Rechtsstaat.
Was dann passiert, können wir schon heute bei Facebook lesen.
Und hier im Land sieht es nicht besser aus.
Der Ministerpräsident macht seine Zustimmung zu der Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsländer vom Votum des Auswärtigen Amtes abhängig und als die entsprechende Billigung vorliegt, wird er von Dr. Stegner zurückgepfiffen.
Und der grüne Teil der Regierung empört sich lieber reflexartig über sämtliche Vorschläge – mitunter ja auch völlig zu Recht –, weil er seine durchaus lobenswerten Grundsätze lieber nicht der Realität anpassen will.
Es ist aber zu wenig, immer nur darauf zu hoffen, dass der grüne Ministerpräsident Kretschmann schon allem zustimmen werde.
Es reicht auch nicht, sich immer nur darüber einig zu sein, die Fluchtursachen bekämpfen zu wollen und die europäischen Außengrenzen zu sichern, wobei die Herren Gabriel und Steinmeier nach einer bemerkenswerten Kehrtwende neuerdings ja auch bereit sind, ‚zusätzliche Maßnahmen an den Binnengrenzen Europas zu ergreifen‘, um die Flüchtlingsströme besser kontrollieren zu können.
Das sind zwar in der Sache alles vollkommen richtige Forderungen, bei denen Sie uns an Ihrer Seite wissen, doch wenn wir ehrlich und realistisch sind, wissen wir doch, dass sich das kurzfristig überhaupt nicht umsetzen lässt.
Genauso ist es doch parteiübergreifend Konsens, dass wir eine europäische Lösung brauchen. Aber davon sind wir erstens weit entfernt und zweitens heißt europäische Solidarität, anders als es manch ein Vertreter von CDU und SPD versteht, auch nicht, sich den deutschen Interessen zu fügen.
Insofern erfordern alle diese Forderungen auch keinen Mut.
Was wir jetzt brauchen, sind nationale Lösungen. Das Asylpaket II ist auf dem Weg dahin auch sicher kein unvernünftiger Schritt. Wir können den Regelungen auch grundsätzlich zustimmen, weil sie für sich genommen jedenfalls nicht ungeeignet sind.
Dazu gehört auch die Einstufung der Maghreb-Länder als sichere Herkunftsstaaten, wenn man sich die aktuellen Zahlen vor Augen hält:
- Allein im Dezember 2015 kamen fast 2.300 Asylbewerber aus Algerien und 3.000 aus Marokko nach Deutschland, während im Gesamtjahr 2014 weniger als 4.000 Menschen aus diesen beiden Staaten Asyl in Deutschland begehrt hatten. Im Vergleich zum Juli 2015 stellt dies eine Verfünffachung der Zugangszahlen dar.
- Die bisherige Schutzquote im Jahr 2015 betrug bei algerischen Staatsbürgern 0,98 Prozent, bei Marokkanern 2,29 Prozent und bei Tunesiern 0,02 Prozent.
Und wenn die Kritiker jetzt wieder entgegnen, dass die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat wirkungslos sei, dem empfehle ich einen Blick auf die Zugangszahlen vom Westbalkan. Während im März 2015 noch 11.729 Kosovaren einen Asylantrag stellten, waren es im Dezember, nachdem das Land zum sicheren Herkunftsstaat erklärt worden ist, nur noch 451.
Und bei allen berechtigten Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Einstufung ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat als ‚verfahrensbezogene‘ Regelung das Grundrecht auf Asyl nicht beseitigt, sondern eine widerlegbare Vermutung etabliert.
Auch künftig muss das Bundesamt bei jedem Antrag prüfen, ob im Einzelfall doch eine Verfolgung droht. Das gleiche gilt für die geplante Begrenzung des Familiennachzuges. Es mag vertretbar sein, dass sowohl die Europäische Menschenrechtskonvention als auch die UN-Kinderrechtskonvention hier beeinträchtigt sein könnten.
Tatsache ist aber, dass die EU-Richtlinie zur Familienzusammenführung dem Gesetzgeber Verpflichtungen nur für Flüchtlinge auflegt, nicht jedoch für subsidiär Schutzberechtigte.
Die hier in Rede stehenden Maßnahmen sind Schritte in die richtige Richtung. Die Probleme werden sie aber nicht lösen.
Nach wie vor haben wir nämlich weniger ein Gesetzesdefizit, sondern vor allem ein Vollzugsdefizit.
Der Rückstau unbearbeiteter Asylanträge beim zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge liegt inzwischen bei rund 370.000 Verfahren.
Weitere 400.000 Menschen haben wegen der langen Wartezeiten noch gar keinen Antrag gestellt.
Nach Kenntnis der Landesregierung sind in Schleswig-Holstein zudem derzeit nur knapp ein Drittel (32,4 Prozent) der Stellen des BAMF besetzt (56 Vollzeitstellen von 173). Dies wirft ein Schlaglicht auf den desaströsen Verfahrensstand in diesem Bereich. Seit November 2015 vergibt das BAMF bei der Registrierung der Flüchtlinge überhaupt keine Termine mehr für die Aufnahme von Asylanträgen, womit die Situation bei der Verfahrensdauer seither systematisch verschleiert wird.
Man kann dies nicht anders bezeichnen als ein Totalversagen der zuständigen Dienststellen des Bundes – im Verantwortungsbereich des Bundesinnenministers.
Wir haben es deshalb an dieser Stelle schon mehrfach gefordert: Wir brauchen eine Schutzgewährung von Bürgerkriegsflüchtlingen in einem summarischen Verfahren außerhalb des individuellen Asylverfahrens!
Mit unserem Gesetzentwurf zum vorübergehenden Schutz haben wir hierzu schon vor Monaten einen belastbaren Verfahrensvorschlag gemacht, der die Behörden nachhaltig entlastet und das Asylverfahren deutlich beschleunigt.
Die Aufnahme von Flüchtlingen ist nicht nur eine Rechtspflicht, sondern ein Gebot der Humanität, sie ist aber kein Grund zu euphorischer Freude. Und Flüchtlinge sind Menschen, die Schutz vor konkreter Verfolgung suchen, und nicht Mittel zum Zweck – weder ökonomisch noch demografisch oder zur Selbstverwirklichung.
Bürgerkriegsflüchtlinge sind nämlich gerade keine Arbeitsemigranten und im Übrigen auch keine Asylbewerber im Sinne unseres Grundgesetzes.
Die Flüchtlingsstellung ist abhängig von der Fortdauer der Verfolgungslage im Heimatland. Sobald sich die Lage in ihrer Heimat bessert, müssten sie zurückkehren – nur so kann weltweite Flüchtlingshilfe überhaupt funktionieren. Genau das sieht das Völkerrecht auch vor. Die Genfer Flüchtlingskonvention sieht hierfür ein automatisches Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft vor (Art. 1 C 5 GFK).
Der Status des vorübergehenden Schutzes trägt sowohl dem Schutzbedürfnis der Flüchtenden als den Aufnahme- und Integrationskapazitäten unserer Gesellschaft Rechnung. Wer als Flüchtling Schutz sucht, erhält ihn ohne Einschränkung. Wer in der Folge für seinen Lebensunterhalt sorgen kann, erhält nach Maßgabe eines modernen Einwanderungsgesetzes einen dauerhaften Aufenthaltstitel.
All dies wäre auch ein überfälliges internationales Signal, dass Deutschland solidarisch ist, aber Flüchtlinge in unbegrenztem Umfang nicht dauerhaft aufnehmen kann.
Und schließlich muss das Vollzugsdefizit bei Abschiebungen beseitigt werden.
Bis heute, so die Bund-Länder-Arbeitsgruppe ‚Rückführung‘ in ihrem Bericht aus dem Jahr 2011, wird hier ‚Rechtsstaatliches Verwaltungshandeln (...) unter dem Deckmantel vermeintlicher Humanität als etwas ‚Anrüchiges‘ betrachtet. In keinem anderen Rechtsgebiet ist eine vergleichbare Positionierung festzustellen.
Es käme z.B. niemand ernsthaft auf die Idee, jemanden der zehn Jahre lang erfolgreich Steuern oder Sozialabgaben hinterzogen hat, aus ‚humanitären Gründen‘ eine Steuerlass zu gewähren oder jemandem nach zehn Jahren unfallfreien Fahrens ohne Fahrerlaubnis allein aus dieser Tatsache eine Fahrerlaubnis zu gewähren. (...) Jede Form von Restriktion zur Herstellung der Ausreisebereitschaft oder zur Erfüllung der dem Ausländer obliegenden gesetzlichen Verpflichtungen wird als menschenunwürdig oder gar als menschenrechtsverletzend gebrandmarkt, um dadurch unter Berufung auf ein quasi höheres Recht die Rechtmäßigkeit jedes Verwaltungshandelns zu desavouieren und ein moralisches Widerstandsrecht zu begründen.‘“