Justiz/Sexualisierte Gewalt

Wolfgang Kubicki: Eine Verschärfung des Sexualstrafrechts wird das Problem nicht beheben

„Dass bei diesem Thema politischer Handlungsbedarf gegeben ist, geht unter anderem aus dem Bericht des NRW-Innenministeriums an den Düsseldorfer Landtag vom 10. Januar 2016 hervor.

 

Dort heißt es, und das ist eine neue Qualität, Frau Ministerin:

„Die Tatbegehungsform sexualisierter Gewaltstraftaten durch Gruppen in Verbindung mit Eigentums-/Raubdelikten ist in der Ausprägung der Kölner Gewalttaten in Deutschland bisher nicht aufgetreten.“

 

Es heißt weiter: „So liegen dem Bundeskriminalamt Erkenntnisse dazu vor, dass in arabischen Ländern ein Modus Operandi bekannt ist, der als ‚taharrush gamea‘ (gemeinsame sexuelle Belästigung in Menschenmengen) bezeichnet wird. Darüber wurde z.B. anlässlich der ägyptischen Revolution von den Medien berichtet. Hierzu wird sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe vertiefend mit dem Phänomen befassen und spezifische Bekämpfungskonzepte entwickeln.“

 

Um auch Aufklärung über den aktuellen Stand dieser Bemühungen zu bekommen, haben wir – vor allem im Lichte der Vorfälle im Sophienhof – einen Bericht des Innenministers beantragt.

 

Grundsätzlich ist voranzustellen, dass unbestreitbar ist, dass die Kölner Übergriffe zu Silvester auch zu einer Verunsicherung der polizeilichen Kommunikationsarbeit geführt haben. Denn die Polizei schwankt hier zwischen notwendiger Schnelligkeit, u.a. wegen der Informationsgeschwindigkeits-Konkurrenz der sozialen Netzwerke, und dem latenten Vorwurf, Flüchtlingskriminalität zu verharmlosen.

 

 

Dies hat auch bei den Vorfällen im Sophienhof zu Verunsicherungen geführt.

 

Und weil die Polizei derzeit unter enormem Druck steht, ist es auch menschlich nachvollziehbar, dass Meldungen an die Öffentlichkeit gebracht werden, die im Nachhinein anders bewertet worden wären – in die eine, wie auch die andere Richtung. Klar sollte sein: Fehler sollten nicht passieren – aber wenn es welche gegeben hat, müssen sie auch offen eingeräumt werden. Und wir sind der Polizei sehr dankbar, dass dies auch geschehen ist.

 

Denn die polizeiliche Kommunikation beeinflusst das Sicherheitsgefühl der Menschen stark – und hier ist Offenheit und Transparenz immer besser als das Gegenteil.

 

Solche verabscheuungswürdige Taten können für die Opfer mitunter traumatische Konsequenzen haben.

 

Wenn die Folge aus solchen Vorfällen ist, dass Mädchen und Frauen jetzt den Eindruck haben, tagsüber im Einkaufszentrum nicht mehr unbeschwert einkaufen gehen zu können, dann ist das ist mit Sicherheit kein zivilisatorischer Fortschritt. Wir können es nicht wollen, dass bewaffnete Polizisten dauerhaft für Einkaufszentren abgestellt werden müssen, um dort täglich für Sicherheit bzw. für ein größeres Sicherheitsgefühl zu sorgen.

 

Wir dürfen diese Vorfälle sicherlich nicht schlimmer machen, als sie ohnehin schon sind. Wir dürfen sie aber genauso wenig verharmlosen. Denn das Gefühl, das sich durch Vorfälle wie in Köln, Hamburg oder jetzt in Kiel festsetzen kann, ist für eine freie Gesellschaft fatal.

 

Deshalb brauchen wir Handlungskonzepte, mit denen die Strafverfolgungsbehörden diesem neuen Phänomen wirksam Herr werden können – denn auch unser Sicherheitsgefühl ist ein hohes Gut.

 

Eine – wie von den Koalitionsfraktionen geforderte – Verschärfung des Sexualstrafrechts ist aus unserer Sicht nicht nötig, sondern teilweise sogar kontraproduktiv. Ich warne davor, den Eindruck zu erwecken, dass mit einer Verschärfung des Sexualstrafrechts das gesellschaftliche Problem bereits beseitigt sei.

 

Eine öffentliche Debatte darüber, wie wir als Gesellschaft miteinander umgehen, ist dagegen sicher sinnvoll. Eine Verschärfung des Sexualstrafrechts wird das Problem nicht beheben.“