Landtag/PUA

Wolfgang Kubicki: Es ist Aufgabe der Politik, die Vorgänge aufzuarbeiten und offenzulegen

„Ministerpräsident Albig wird mit den Worten zitiert, dass er den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der Vorgänge in der Einrichtung Friesenhof für ‚reine Zeitverschwendung‘ hält und dass es nur darum gehe, ‚Regierung zu lähmen‘. Diese Aussagen verdeutlichen zweierlei. Erstens belegen sie (erneut), dass mangelnde Gewaltenteilungsverständnis des Ministerpräsidenten und zeugen auch von mangelnden Respekt vor dem Parlament. Und zweitens, und das wiegt in diesem Fall noch schwerer, scheint der Ministerpräsident die Tragweite der im Raum stehenden Missbrauchsvorwürfe, unter denen zahlreiche junge Mädchen zu leiden hatten, nicht erkannt zu haben.

 

Es geht um Isolation, körperliche Gewalt, Demütigungen. Kinderrechte und die Menschenwürde wurden nach den bisher bekannt gewordenen Informationen missachtet. Die Möglichkeiten der Aufklärung durch den Sozialausschuss sind dabei leider an ihre Grenzen gestoßen. Die Sachaufklärung wurde bisher auf jeder Ebene von Seiten der Regierung behindert. Die vorgelegten Akten sind unvollständig und unzureichend.

 

Von der viel versprochenen Transparenz, wie sie die Ministerin im Ausschuss noch angekündigt hat, ist nichts geblieben. Allein die Opposition hat die Aufklärung vorangetrieben. In Salamitaktik hat die Regierung nur zu den Punkten Stellung bezogen, zu denen sie auf Grund des Drucks von außen gezwungen wurde. Die Landesregierung hat nicht mit offenen Karten gespielt. Die letzte Posse war dabei die Herabstufung der Vertraulichkeit der Akten. Anstatt dem Ansinnen der Opposition, die ihre in der Verfassung verbürgten Rechte geltend machen wollte, nachzukommen, wurde das Verfahren weiter verzögert.

 

Mit welchen Vorgängen wir es in diesem Verfahren zu tun haben, zeigen alleine die Ermittlungen, die die Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang aufgenommen hat. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in 13 Strafverfahren. In Raum steht in der Mehrzahl der Verfahren der Verdacht auf Körperverletzung, hinzu kommen der schwerwiegende Verdacht des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, der Verdacht der Freiheitsberaubung, Verdacht auf Verletzung des Brief- und Privatgeheimnisses sowie der Verdacht auf Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen.

 

Weiterhin läuft die Untersuchung der Aktenunterdrückung im Ministerium. Das ist ja an sich schon ein erheblicher Vorgang, wenn die Ministerin selbst die Staatsanwaltschaft einschalten muss, weil in ihrem eigenen Haus Akten manipuliert werden.

 

Waren diese Vorwürfe unbekannt? Nein, ausreichend Hinweise lagen vor. Das Jugendamt Bremen meldete bereits am 5. November 2013 folgende alarmierenden Vorgänge aus der Einrichtung Friesenhof an das Sozialministerium: Unverhältnismäßige Sanktionierungen, übermäßiger Sport, ‚Aussitzen’, wach halten, keine Beschwerdemöglichkeiten, Angstatmosphäre, Gewalt gegen Mädchen, Beleidigungen, Gruppenbestrafungen. Auch Ärzte der Kinder- und Jugendpsychiatrie Schleswig klagten über Fixierungen sowie Übergriffen durch Personal. Eine Familienrichterin beschrieb das gesamte System Friesenhof als geschlossene Einrichtung. Die Landesregierung hat jedoch erst gehandelt, nachdem die Vorgänge in der Presse öffentlich wurden.

 

In den letzten Jahren wurde intensiv die Heimerziehung in den frühen Jahren der Bundesrepublik aufgearbeitet. Es ging darum, geschehenes Leid und Unrecht an Heimkindern in den fünfziger, sechziger bis Mitte der siebziger Jahre aufzudecken. Bund und Länder haben sich gemeinsam ihrer Verantwortung gestellt und die geschehenen Missstände anerkannt. Es ist dramatisch und es macht betroffen, dass jetzt – vierzig Jahre später – solche Vorgänge immer noch möglich sind. Während das Unrecht der Vergangenheit aufgearbeitet wird, geschieht gegenüber Mädchen nicht irgendwo, sondern hier in unserem Land neues Unrecht. Niemanden können diese Geschehnisse kalt lassen. Es ist die feste Überzeugung meiner Fraktion, dass es Aufgabe von Politik ist, diese Vorgänge aufzuarbeiten und offenzulegen, um für die Zukunft solche Missstände zu verhindern.“