„Wenn wir über Flüchtlingspolitik diskutieren, dann sollten wir das sachlich und gleichberechtigt auf Augenhöhe machen. Wir müssen daher aufpassen, dass wir uns nicht im Wechsel von reflexartigen Vorwürfen und Empörung verfangen.
Wenn der Ministerpräsident am vergangenen Freitag erklärt, bei den kommenden Wahlen gebe es eine Entscheidung zwischen einer rechtspopulistischen und einer sozialdemokratischen Richtung, dann schafft er aber ein politisches Klima der Ausgrenzung, dass letztlich uns allen schaden wird.
Es hilft ebenfalls nicht, den Bürgerinnen und Bürgern zu erzählen, sie sollten für die Flucht der Menschen, die vor Krieg und Terror geflohen sind, dankbar sein, weil diese nicht nur die demografischen Wandel umkehren, sondern als ‚Vitaminspritze‘ gleich auch noch unsere Sozialsysteme retten werden. Das alles erfordert keinen Mut, weil Sie Versprechungen machen, deren Wahrheitsgehalt heute nicht überprüft werden kann.
Genauso unehrlich ist es, den Menschen zu erklären, wir schaffen das alles, ohne Abstriche machen zu müssen. Wir schüren im Moment Illusionen, die zwangsläufig enttäuscht werden, weil auch humanitäre Notfälle keine ökonomischen Grundgesetze außer Kraft setzen.
Was wir brauchen, sind konkrete Lösungen zur Bewältigung der jetzigen Situation und Maßnahmen zur Begrenzung des Zustroms.
Der Staat aber zeigt sich hier bislang handlungsunfähig und planlos. Was wir gerade erleben, ist ein staatliches Versagen neuen Ausmaßes. Das System der Flüchtlingsaufnahme und -versorgung ist allein deshalb noch nicht kollabiert, weil die Zivilgesellschaft originär staatliche Aufgaben übernommen hat.
Hier zeigt sich auch: Die Mehrzahl der Menschen hat keine Vorbehalte gegen die Flüchtlinge. Ganz im Gegenteil, die Menschen sind hilfsbereit und engagiert.
Das eigentliche Problem liegt woanders: Angesichts des katastrophalen Krisenmanagements der Regierung verlieren die Menschen aber das Vertrauen in den Staat, in die parlamentarische Demokratie.
Es ist die Hilflosigkeit der Politik, die die Menschen für antidemokratische Kräfte empfänglich machen wird. Die Politik leistet dieser unheilvollen Entwicklung sogar noch Vorschub.
Statt selbst mit Entschlossenheit konkrete, belastbare Lösungen anzubieten, setzen die Regierungsparteien lieber auf Vielstimmigkeit, um möglichst noch Profit aus der Krise zu schlagen.
Wenn der Ministerpräsident verkündet, die Aufnahmekapazitäten seien noch lange nicht erschöpft, während der SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Obergrenzen fordert und der Vizekanzler mit dem Kalkül, endlich die Kanzlerin vor sich her treiben zu können, eine Begrenzung der Flüchtlingsaufnahme postuliert, dann schaffen Sie das Gegenteil von Vertrauen in die Politik.
Wir können den Bürgerinnen und Bürgern nicht erklären, das Boot ist noch lange nicht voll, und gleichzeitig das Lichten des Ankers vorbereiten.
Ich versichere Ihnen, dass diese alle umarmende Pendelpolitik der parlamentarischen Demokratie nachhaltig schaden wird. Wenn wir uns nicht endlich den Realitäten stellen, werden einige hier eine Kehrtwende vollziehen müssen, die in Anbetracht der zuvor vor sich hergetragenen hehren Ansprüche nicht nur wehtun werden, sondern das Vertrauen in die Parteien und damit auch in die demokratischen Institutionen weiter beschädigen wird.
Wir müssen aufpassen, dass die Art und Weise unseres Umgangs mit der Flüchtlingskrise nicht in eine handfeste Demokratiekrise mündet.
Die Aufgabe der Politik ist es daher, in solch schwierigen Augenblicken des sozialen Lebens die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen, ehrlich zu den Bürgerinnen und Bürgern zu sein und ihnen konkrete Perspektiven aufzuzeigen.
So – und nur so – erhalten wir die große Akzeptanz in der Bevölkerung und drängen all jene zurück, die in dieser kritischen Phase unseres demokratischen Staates die Gunst der Stunde zu erkennen glauben.
Wir müssen den Menschen aufrichtig sagen, dass es schwierig wird; dass wir es aber schaffen können.
Wir können es aber nur dann schaffen, wenn wir flexibel reagieren und schnell die notwendigen Voraussetzungen schaffen.
Grundbedingung für die Bewältigung der Herausforderung ist eine starke Wirtschaft. Wenn der Ministerpräsident erklären lässt, es wird bei der Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge nicht am Geld scheitern, dann verdankt er dies allein der guten Konjunktur. Es ist deshalb alles zu unterlassen, was geeignet ist, die Wirtschaft zu schwächen. Ganz im Gegenteil müssen wir zügig Rahmenbedingungen schaffen, um die Unternehmen in die Lage zu versetzen, Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Wir müssen endlich Bürokratie abbauen. Ein schneller Zugang zu Bildung und Arbeit muss gewährleistet sein. Das Arbeitsverbot und die Vorrangprüfung müssen vollständig abgeschafft werden. Arbeit ist der tragende Faktor für Integration. Bringen wir Flüchtlinge in Arbeit, erleichtern wir nicht nur die soziale Eingliederung, sondern entlasten auch die staatlichen Sozialsysteme. Dann – und nur dann – wird unsere Gesellschaft von den Flüchtlingen profitieren können.
Damit die Integration in den Arbeitsmarkt gelingen kann, müssen wir der Wirtschaft aber auch entgegen kommen. Arbeitsstättenverordnungen sowie Regeln bei Zeitarbeit müssen flexibler gestaltet werden.
Da wo es sinnvoll ist, müssen wir auch Ausnahmen vom Mindestlohn schaffen, um den Arbeitsmarkt aufnahmefähiger zu machen. Sie sollten sich zumindest vorübergehend von der Idee verabschieden, dass nur Arbeit nicht ausreicht, sondern Arbeit immer auch einen bestimmten Wert haben muss, den sie selbst festlegen.
Genauso müssen wir im Bereich des Wohnungsbaus Anreize schaffen. Standard-Absenkungen werden unumgänglich sein. Wenn die Alternative nicht beheizbare Zelte sind, können wir nicht auf Massivbau bestehen. Natürlich ist das nicht nachhaltig. Jetzt geht es aber darum, schnell zu bauen.
Bei alledem entscheidend wird sein, dass wir den Rechtsstaat durchsetzen. Und zwar auf allen Ebenen. Im Baurecht müssen wir alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, die wir haben, um so schnell wie nur möglich bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dafür wird es erforderlich sein, das Recht an vielen Stellen anzupassen, damit wir gar nicht erst in die Verlegenheit kommen, den Rechtsstaat beugen zu müssen. Wir bekommen ein Riesenproblem, wenn die Menschen in unserem Land, das Gefühl haben, dass der Staat das Recht brechen kann, wie es ihm gefällt.
Wenn wir Wohncontainer aus Frankreich nicht einführen dürfen, weil die unseren Normen nicht entsprechen, dann müssen wir deshalb die Normen ändern – und zwar sofort.
Auch wird eine Änderung des Bauplanungsrechts unausweichbar sein. Denn im Moment verstoßen wir rein objektiv dagegen.
Ich bezweifle, dass alle Erstaufnahmeeinrichtungen im Land konkret gebietsverträglich im Sinne des Bauplanungsrechts sind. Ich weiß auch nicht, ob man in Boostedt eine Baugenehmigung für eine Wohnanlage für 2.500 Personen direkt neben eine Schießanlage bekommen würde.
Wir müssen den Rechtsstaat auch dort durchsetzen, wo es dem einen oder anderen vielleicht schwer fällt. Der Rechtsstaat funktioniert nur, wenn er ideologische und moralische Positionen souverän missachtet. Wir werden deshalb um konsequente Abschiebungen und Rücküberführungen nicht herum kommen. Man kann nicht die Beschleunigung der Anerkennungsverfahren fordern, sich dann aber der Vollstreckung des Verfahrensergebnisses verweigern.
Wir brauchen hierfür auch keine Verschärfung des Asylrechts, wie müssen einfach nur die geltenden Gesetze anwenden und eine angemessene personelle Ausstattung der zuständigen Behörden.
Deutschland missachtet im Moment in mehrfacher Hinsicht die Dublin-III-Verordnung und verstößt damit gegen europäisches Recht. Wir maßregeln diejenigen als inhuman, die versuchen, das Dublin-Abkommen einzuhalten, während wir dessen Regeln, die wir uns für genau diesen Fall selbst auferlegt haben, verletzen. Das ist scheinheilig.
Das Bundesamt für Migration gesteht im Moment allen Flüchtlingen aus Syrien Schutz in Gestalt der Flüchtlingseigenschaft zu, obwohl das Tatbestandsmerkmal der Gruppenverfolgung hier mehr als zweifelhaft ist. Aus humanitären Gründen ist das absolut verständlich, rechtlich aber fragwürdig.
Wir dürfen den Rechtsstaat nicht zugunsten der Moralität zurückdrängen.
Hilfreich ist es aber auch nicht, symbolische Ersatzhandlungen zur Beruhigung der eigenen Klientel durchzuführen. Die Forderung nach Transitzonen ist deshalb völlig deplatziert. Wie soll das funktionieren? Es ist mir vollkommen rätselhaft, wie Sie die Flüchtlinge ohne Zwang da rein bekommen wollen. Wollen Sie an der Grenze wieder Zäune errichten?
Wenn Herr de Maiziere es endlich schafft, die Asylverfahren zu beschleunigen, dann brauchen wir auch solche unsinnigen Ablenkungsmanöver nicht.
Mal davon abgesehen: Mit solchen Maßnahmen schaffen Sie keine Rechtssicherheit, sondern öffnen der Willkür Tür und Tor. In Deutschland hat jeder Flüchtling ein subjektives, also einklagbares Recht auf Asyl. Was wollen Sie denn mit Flüchtlingen ohne Papiere machen? Wohin sollen die abgeschoben werden?
Unser Rechtsstaatsprinzip gebietet einen effektiven Rechtsschutz - das gilt auch für Flüchtlinge - und zwar auch wenn diese sich nicht ausweisen können. Wir können eine bestimmte Gruppe von Flüchtlingen nicht einfach faktisch rechtlos stellen.
Jeder Flüchtling hat das Recht auf ein rechtstaatliches Verfahren. Ebenso hat er für die Dauer seines Aufenthalts die gleichen Rechte wie alle anderen auch. Schutz vor körperlicher, sexistischer oder religiöser Gewalt genauso wie die Freiheit, die Traditionen und Gebräuchen seiner Gemeinschaften auszuüben.
Zu gleichen Rechten gehören gleiche Pflichten. Aus diesem Grund ist es auch zwingend, dass wir Asylsuchenden so früh wie möglich durch verpflichtende Integrationskurse unser Weltbild, unsere Sprache und unsere Rechtsordnung vermitteln. Wir müssen in aller Deutlichkeit klarstellen, dass Übertretungen unserer Regeln entsprechend sanktioniert werden. Wenn sich die staatlichen Organe aus falsch verstandener Gutmütigkeit unsere Rechtsordnung nicht mehr gegen jedermann zu jeder Zeit durchsetzen, dann senden wir fatale Signale.
Wollen wir ein Einwanderungsland sein, was die FDP schon seit den neunziger Jahren fordert, dann müssen wir unmissverständlich die Regeln vorgeben und die Einwanderer zugleich zu Eigenverantwortung und Mitwirkung befähigen.
Dazu brauchen wir einen geachteten, rechtstreuen Staat.
Denn: Nicht die freiheitlich-demokratische Grundordnung unseres Landes muss sich anpassen, sondern die Flüchtlinge.
Wenn Frau Künast Polizeibeamten aber empfiehlt, die Schuhe auszuziehen, wenn sie zu einem Einsatz bei Muslimen gerufen werden, kommt das einer Selbstaufgabe gleich. Eine solche Toleranz ist auch ein Mittel, um der Realität zu entfliehen und sich dabei gleichzeitig moralisch überlegen zu fühlen. So riskiert unsere Gesellschaft einen Bankrott.
Wir werden das Problem auch nur lösen, wenn es uns gelingt, dass die Zahl der Menschen, die sich auf den Weg zu uns machen, wieder sinkt.
Die entscheidende Herausforderung ist es deshalb, die Flüchtlingskrise da zu lösen, wo sie ihren Ursprung hat. Alles andere als die Bekämpfung der Fluchtursachen ist nicht nachhaltig.
Dafür ist eine Politik des Dialogs und der Verständigung alternativlos. Ich bin davon überzeugt, dass der Syrien-Konflikt nur gemeinsam mit Putin und nicht gegen ihn gelöst werden kann.“