In seiner Rede zu TOP 15 (Lage der Justiz in Schleswig-Holstein) erklärt der justizpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Bernd Buchholz:
"Ich habe zunächst einmal der Frau Ministerin herzlich zu danken für die Beantwortung der Großen Anfrage. Das ist in der Tat auf 150 Seiten ein Werk von detaillierter Aufarbeitung, teilweise sogar über das hinaus, was man an Informationen hätte zwingend geben müssen. Und, wenn Sie mir das gestatten zu sagen, es ist teilweise auch, was die Sprachakrobatik angeht, bemerkenswert. Denn wenn man bestimmte Sachverhalte auf eine bestimmte Art und Weise darstellen muss, ohne wirklich was Falsches zu sagen, das so einzukleiden, dass es irgendwie noch super klingt, das ist wirklich gelungen. Also Frau Ministerin, meine ausdrückliche Anerkennung, das ist in der Tat eine stolze Leistung.
Denn die Lage der Justiz in Schleswig-Holstein, das ist das Ergebnis der Großen Anfrage, ist insgesamt schwierig. In einigen Bereichen ist sie kritisch und in einem Bereich ist sie katastrophal. Und dieser Bereich sind die Staatsanwaltschaften im Lande und ich will dabei überhaupt nicht leugnen, dass die Anstrengungen der Landesregierung mit den zusätzlichen 42 Stellen in den Jahren seit 2023 dazu beigetragen haben, die Not etwas zu lindern. Aber die Anstrengungen waren eben insgesamt leider nicht groß genug, denn wenn der Personaldeckungsgrad gerade mal bei 80 Prozent liegt, dann heißt das, dass jede fünfte Stelle bei den Staatsanwaltschaften im Lande unbesetzt ist. Und das hat Konsequenzen für die Durchsetzung des Rechtsstaats.
Das hat insoweit Konsequenzen, als dass Verfahren immer länger dauern und unerledigt bleiben. Ich will jetzt gar nicht darauf eingehen, dass 88,5 Prozent der Verfahren bei den Staatsanwaltschaften eingestellt werden. Die Ministerin hat mir heute in den Kieler Nachrichten zu Recht entgegengehalten, das sei noch kein Beweis dafür, dass man überlastet sei. Aber wenn man sich neben den 88 Prozent an Einstellungen auch die unerledigten Sachen bei den Staatsanwaltschaften anschaut, dann lagen die im Jahr 2016 bei 26.200, heute liegen sie bei fast 34.000 mit 33.984. 94 Verfahren bei den Staatsanwaltschaften liegen dort länger als seit 2016. Wir sind hier an einer Stelle, wo es darum geht, dass der Rechtsstaat auch durchgesetzt wird.
Wer bei der Amtseinführung des neuen Generalstaatsanwalts vor einigen Tagen im Oberlandesgericht in Schleswig dabei war, der konnte dort die Rede des ehemaligen Generalstaatsanwalts Wolfgang Zepter hören. Der sagte Worte wie ‚Die Staatsanwaltschaft im Lande steht am Abgrund‘. So weit würde ich nicht gehen. Aber dass wir hier eine katastrophale Situation haben, der wir Herr werden müssen, weil wir ansonsten dabei sind, Straftaten nur noch zu verwalten und nicht mehr aufzuklären und einer Strafgerichtsbarkeit zuzuführen. Das steht fest.
Der zweite kritische Bereich sind die Verwaltungsgerichte des Landes. In den Verwaltungsgerichten des Landes hat sich die Verfahrensdauer in unglaublicher Art und Weise verlängert. Dauerten im Jahr 2015 an den Oberverwaltungsgerichten die Verfahren noch im Durchschnitt 2,8 Monat, so beträgt die Verfahrensdauer jetzt über zehn Monate. Das zeigt, dass auch die Verwaltungsgerichte maßlos überlastet sind, da ist es nicht katastrophal, aber da ist es kritisch. Das hat viel mit Asylverfahren zu tun und einer schwer einschätzbaren Anzahl von Asylverfahren in Wellen. Keine Frage. Aber es hat auch viel damit zu tun, dass dort ganz viele Bauleitplanungsverfahren, Baugenehmigungsthemen anhängig sind, die auch kritisch für die schleswig-holsteinische Wirtschaft sind, wenn nicht entschieden wird und wenn Verfahren so lange dauern. Und die Chefin des Oberverwaltungsgerichts hat uns im Innen- und Rechtsausschuss sehr wohl berichtet, dass selbst der Personalstand, der auf dem Papier vorhanden ist, niemals zum Einsatz kommt, weil sie ganz viele Abordnungen hat. Auch im Bereich der Verwaltungsgerichte ist es kritisch im Land Schleswig-Holstein und deshalb weise ich darauf hin, dass auch hier Handlungsbedarf besteht.
Die Frau Ministerin sagt dann ‚Ja, unsere Anstrengungen zum Thema Personalgewinnung sind ja nun reichhaltig‘. Und in der Tat, Frau Ministerin, da ehrlich gesagt, war ich über die Antwort in der Großen Anfrage so ein bisschen schockiert. Wenn bei der Personalgewinnungsfrage die Antwort lautet, dass man zum 1. Juli des Jahres 2025 ein Referat für Personalgewinnung beim Oberlandesgericht geschaffen habe und zwar mit einer halben Stelle, dann sage ich Ihnen: Wissen Sie, wir haben vor 25 Jahren in großen Unternehmen in dieser Republik über den drohenden Fachkräftemangel nachgedacht und über die Frage, wie wir den War of Talent besiegen können. Wenn das Land Schleswig-Holstein bei seiner Personalrekrutierung seiner Leute im Jahr 2025 im Sommer so weit ist zu sagen, ey, wir müssen anstrengen, denn dazu sollte zunächst mal eine halbe Stelle am OLG reichen, dann sage ich ‚Guten Morgen, lieber Leser‘. Das ist wirklich spät und im Übrigen auch zu wenig.
Ich will an dieser Stelle auch sagen, dass wir bei dem Thema Personalgewinnung nicht umhinkommen werden, auch die Attraktivität der Tätigkeiten in der Justiz deutlich zu steigern. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich die Anzahl der Bewerbungen in den höheren Diensten der Landesjustiz innerhalb der letzten Jahre halbiert hat. Das ist ein Umstand, der auch damit zu tun hat, dass mein eigener Sohn ein Angebot in einer Rechtsanwaltskanzlei bekommt, mit der man als Berufsanfänger sofort mehr verdient als der OLG-Präsident des Landes Schleswig-Holstein. Dieses Gap werden wir nie ganz ausfüllen, das ist klar. Aber dass wir darauf gucken müssen, dass es auch weiter für gut ausgebildete Juristen attraktiv bleibt, in den Landesdienst zu kommen, das steht doch außer Frage. Und dann ist es vielleicht doch richtig und wichtig, dass man sich etwas der Frage widmet, wäre es nicht schlau, eine bundeseinheitliche Richterbesoldung in den Blick zu nehmen? Wäre es nicht schlau, diese Richterbesoldung vielleicht auch ein Stückchen von der restlichen Besoldung im Justizdienst abzukoppeln, um zu sagen, im höheren Dienst der Justiz brauchen wir einfach Menschen, die auch hochqualifiziert sind und wir werden sie nicht bekommen, wenn wir weiter mit den Strukturen auch der Besoldung, wie wir das in der Richterbesoldung derzeit haben, unterwegs sind.
Lassen Sie mich zum dritten Punkt kommen und das ist ja einer der Schwerpunktbereiche, den auch die Frau Ministerin für sich definiert, das ist das Thema Digitalisierung der Justiz. Und Sie sehen mit mir hier den größten Befürworter der Digitalisierung der Justiz, weil es in der Tat die Chance der Verwaltungsvereinfachung schafft. Im Bereich der Strafjustiz wird die Digitalisierung durch die Einführung der elektronischen Strafakte, die sich schon jetzt deutlich verzögert, weil bei den Polizeien nur noch ganz wenige Pilotdienststellen überhaupt mit dem Thema arbeiten und die Übergabe zum Ende des Jahres an die Staatsanwaltschaften schwierig werden wird, zu einer weiteren Belastung der Staatsanwaltschaften führen. Nicht zu einer Entlastung, sondern zu einer weiteren deutlichen Belastung der Staatsanwaltschaften, das sage ich voraus. Und in dem Bereich, in dem die E-Akte gerade für Massenverfahren eingesetzt wird, nämlich an unseren Amtsgerichten, dort, wo die Zivilrichterinnen und Zivilrichter, die Familienrichterinnen und Familienrichter viele Verfahren abzuwickeln haben, da ist die Performance der E-Akte nach wie vor eine Katastrophe. Menschen des höheren Dienstes der Justiz sind nicht dafür eingestellt, wenn sie 20 Verfahren aufmachen und anschließend signieren müssen, eine Stunde lang vor einer Eieruhr zu sitzen, um zuzusehen, dass die Performance des Systems nicht funktioniert. Und dazu haben wir vor eineinhalb Jahren bei der Einführung vorgeschlagen, dass das neue Verfahren doch bitte nicht nur von Dataport und irgendwelche internen IT-Leuten umgesetzt wird, sondern dass dort externe IT-Unternehmen mit einbezogen werden, die Performance überprüfen. Nach meiner Kenntnis war das durch das Justizministerium so wohl auch gewollt. Sollte 500.000 Euro kosten, ist dann unter Finanzgesichtspunkten gestrichen worden. Und da sage ich: Gespart am falschen Ende, denn die hochbezahlten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen heute frustriert in ihre Amtsgerichte, weil sie erleben, dass die Digitalisierung der Akte keine Vereinfachung schafft, sondern dazu führt, dass alles viel, viel komplizierter wird. Deshalb haben die Kieler Nachrichten ja heute auch getitelt, dass die Justiz im Land Alarm schlägt und das auch, weil die Digitalakte so viel länger dauert.
Sie, Frau Ministerin, machen stattdessen eine Strukturreform. Die Fachgerichtsstrukturreform werden wir ja heute noch beraten. Die Amtsgerichtsstrukturreform führt zurzeit zu massiver Unruhe in der Justiz, weil sie die geschilderten Probleme ja noch zusätzlich hat. Das Einsparpotenzial bei den Amtsgerichten an Liegenschaften ist gering. Das Potenzial, Unruhe zu schaffen und damit verstörend die Lage der Justiz noch zu verschärfen, ist groß. Deshalb sage ich Ihnen heute: Lassen Sie die Finger davon. Hören Sie auf mit der Amtsgerichtsstrukturreform. Sie bringt uns nicht voran, sondern sie schafft zusätzliche Probleme im Land. Lösen Sie jetzt die Probleme, die alle mit Ihrer Antwort auf die Große Anfrage auf dem Tisch liegen. Lösen Sie diese Probleme, schaffen Sie nicht noch zusätzlich neue, das würde ich gut finden."
Sperrfrist Redebeginn!
Es gilt das gesprochene Wort.