Wirtschaft/Industriepolitik

Christopher Vogt: Industriepolitisch hat diese Landesregierung in den vergangenen Jahren geschlafen

„In der vergangenen Woche hat uns eine ausgesprochen schlechte Nachricht erreicht. Die Firma Senvion plant einen erheblichen Abbau von Arbeitsplätzen an ihren deutschen Standorten. Besonders betroffen davon ist Schleswig-Holstein – allein in Husum sollen über 200 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen sein, rund 100 von ihnen droht eine betriebsbedingte Kündigung. Dabei geht es aber auch um den vom Land erheblich geförderten Standort in Osterrönfeld. Das ist schon wirklich ein heftiger Schlag ins Kontor für den Wirtschaftsstandort Husum, für den Kreis Nordfriesland und auch für unser Bundesland insgesamt.

 

Die Landespolitik sollte im Rahmen ihrer Möglichkeiten und im Rahmen dessen, was ordnungspolitisch verantwortbar ist, versuchen, diese Entwicklung zu verhindern. Die Beschäftigen wollen kämpfen und machen – wie ich finde – sehr konstruktive und sinnvolle Vorschläge zum Erhalt des Standortes. Es verkennt auch dort niemand, dass diese Branche derzeit im Umbruch ist. Husum könnte demnach ein zentraler Standort für Reparatur, Wartung und Service werden – und auch für die Produktion von 3-Megawatt-Anlagen werden.

 

Die Stadt Husum ist eine Wiege der Windenergie und damit der Energiewende. Senvion in Husum ist hier mit Blick auf die Vorgängerfirmen nicht irgendein Unternehmen. Die Landespolitik darf nicht dabei zusehen, wie im Energiewendeland Schleswig-Holstein wirtschaftspolitisch die Lichter ausgehen. Man darf nicht zulassen, dass hier nur noch Windkraftanlagen abgestellt werden, die großen Finanzinvestoren von außerhalb gehören und die im Ausland oder anderen Regionen Deutschlands hergestellt wurden. Das ist zumindest nicht unsere Vorstellung, wie die Energiewende für Schleswig-Holstein aussehen sollte: Die Wertschöpfung sollte hier stattfinden und nicht anderswo.

 

Insofern fordern wir von der Landesregierung eine klare Ansage, dass sie die Beschäftigten von Senvion dabei unterstützt, dem Standort Husum doch noch eine Zukunft zu geben – nicht durch Subventionen an das Unternehmen, sondern durch eine politische Unterstützung, die vor allem in der Unterstützung des Wirtschaftsstandortes Husum und Nordfriesland deutlich wird. Ich sage ganz deutlich: Wir würden nicht auf die Idee kommen und diese unternehmerische Entscheidung der Landesregierung anlasten, aber es muss endlich jedem klar werden, dass die Industriepolitik ein landespolitischer Schwerpunkt werden muss. Da hat diese Landesregierung in den vergangenen Jahren leider geschlafen.

 

Eine effektive Industriepolitik ist vor allem für Nordfriesland und die Westküste von elementarer Bedeutung. In Nordfriesland sind mittlerweile nur noch rund sechs Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe tätig. Das sind erschreckend wenige! Vor nunmehr knapp drei Jahren hatte die FDP-Fraktion ein industriepolitisches Konzept für unser Bundesland gefordert. Unser Bundesland ist natürlich kein klassisches Industrieland, aber wir haben eben auch industrielle Kerne, die viel zu schnell abschmelzen und die deshalb wieder gestärkt werden müssen. Unser Vorschlag wurde damals von der Mehrheit zunächst zurückgewiesen. Erst als der DGB Nord kurz danach ebenfalls diese Forderung erhob, ist die Landesregierung dann irgendwann tätig geworden. In den vergangenen Jahren ist dann aber leider nicht wirklich viel vorangekommen.

 

Man hat – mit den entsprechenden Partnern – nun erst kurz vor der Landtagswahl 29 Handlungsempfehlungen präsentiert, die man selbst nicht mehr umsetzen muss. Das Ganze wurde sang- und klanglos am Freitagnachmittag versendet. Wenn man wirklich daran glauben würde, hätte man dies heute in einer Regierungserklärung verkündet und nicht der Opposition die Initiative überlassen.

 

Was muss also passieren, damit es besser wird und damit vor allem für die wirtschaftlich gebeutelte Westküste wieder eine reelle industriepolitische Perspektive bekommt, damit an der Westküste wieder ausgebildet und investiert wird? Wir sind der Überzeugung, dass vor allem bei der Verkehrsanbindung – also beim Weiterbau der A20 und der B5-Ausbau – deutlich mehr Engagement und eine klare Perspektive geben muss, damit wieder an den Standort geglaubt wird. Dafür müssen die Planungskapazitäten deutlich erhöht und das Planungsrecht vereinfacht werden. Die politischen Blockaden bei der Infrastruktur müssen ein Ende haben, da müssen endlich verlässliche politische Ansagen aus Kiel kommen. Es war auch ein großer Fehler, dass man bei der Windenergiemesse den Hamburgern nicht auf die Finger gehauen hat. So etwas darf sich nicht wiederholen. Es muss endlich einen klaren und auch ambitionierteren Fahrplan bei der Digitalisierung geben. Zudem braucht unser Bundesland auch endlich eine geeignete Ansiedlungsstrategie.

 

Schleswig-Holstein braucht mehr Gründergeist – darüber debattieren wir morgen. Die Zahl der Unternehmensgründungen ist seit Jahren stark rückläufig. Es reicht einfach nicht aus, unternehmerische Entscheidungen zu beklagen. Die Landesregierung muss sich die Frage gefallen lassen, was sie die letzten fünf Jahre gemacht hat, um unseren Wirtschaftsstandort und insbesondere die Westküste attraktiv zu machen. Das ist nicht allein Aufgabe eines einzelnen Ministers, sondern des gesamten Kabinetts und vor allem des Ministerpräsidenten deshalb sage ich: Der nächste Ministerpräsident muss die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes zu seiner wichtigsten Aufgabe machen.

 

Zunächst einmal sollte der Ministerpräsident mit der Senvion-Geschäftsführung in Hamburg sprechen und nicht den Wirtschaftsminister mit deren Abgesandten in Husum, die keine Vollmacht und keine Ahnung haben.“