Gesundheit/ Impfstrategie und Corona-Maßnahmen

Christopher Vogt zu TOP 1 u.a. „Akzeptanz für die Impfstrategie, Corona-Maßnahmen und Bewegungsfreiheit“

Christopher Vogt

In seiner Rede zu TOP 1+2+4 (Regierungserklärung mit Anträgen zur Akzeptanz für die Impfstrategie, Corona-Maßnahmen und Bewegungsfreiheit) erklärt der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Christopher Vogt:

„Diese Pandemie fordert unsere Gesellschaft und auch viele andere Regionen auf der Welt weiterhin in erheblichem Maße heraus. Ich möchte dennoch allen noch ein frohes und gesundes Jahr 2021 wünschen und den vielen Menschen danken, die sich weiterhin vorbildlich verhalten – und ganz besonders natürlich denen, die seit Monaten in der Pflege, im Gesundheitswesen oder auch in Behörden wie den Gesundheitsämtern herausragende Arbeit leisten! Den Menschen, die Angehörige oder Freunde verloren haben, möchte ich meine Anteilnahme aussprechen.

Wenn wir uns die Lage in Deutschland anschauen, dann müssen wir leider feststellen, dass mit den bisherigen Maßnahmen in diesem Winter trotz aller Härten nicht die Ziele erreicht werden, die man sich gesetzt hat. Und das sieht man mittlerweile auch sehr deutlich bei den Todeszahlen und in den Krankenhäusern. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das Lagebild derzeit nicht ganz eindeutig ist – auch was die mögliche Ausbreitung von Virus-Mutationen betrifft, die vielen Menschen und auch Experten zunehmend Sorge bereiten. Dem muss jetzt verstärkt nachgegangen werden.

Dass der bisherige Lockdown im Grundsatz noch einmal verlängert wird, war wohl den meisten Menschen über den Jahreswechsel bereits klar. Dass der Lockdown kurzfristig noch einmal drastisch verschärft werden wird, dagegen eher nicht. Vor allem die Verschärfung bei den Kontaktbeschränkungen sorgt für sehr kontroverse Diskussionen. Wir hatten diese Regel in der Tat bereits im Frühjahr und ich kann schon verstehen, dass es vielen Menschen noch immer nicht einleuchtet, dass eine Person zwar einen anderen Haushalt besuchen darf, aber dass dies andersherum nicht gehen soll oder dass sich zum Beispiel zwei Ehepaare nicht treffen dürfen. Eine ganz besondere Herausforderung sehe ich – nicht nur deshalb – für die jungen Familien. Sie mussten ja bereits im letzten Frühjahr die Hauptlast unserer Maßnahmen tragen.

Ich bin sehr dankbar, dass wir uns in der Koalition bei den Kontaktbeschränkungen immerhin auf eine Ausnahme für die familiäre Kinderbetreuung verständigen konnten, die in ähnlicher Form auch bei der Betreuung von pflegebedürftigen Menschen greifen wird. Das sorgt bei vielen Familien zumindest für ein bisschen Entlastung. Meine große Hoffnung ist, dass diese sehr drastischen Kontaktbeschränkungen im gesamten Land jetzt auch dafür sorgen werden, dass die Infektionszahlen im Januar spürbar zurückgehen werden. Das ist dringend notwendig, denn viele Menschen im Einzelhandel, im Hotel- und Gaststättenbereich oder auch im Sport- und Kulturbereich sehnen sich nach einer realistischen Perspektive.

Priorität muss aber die schnelle Entlastung von Familien mit Kindern haben, denn Kitas und Schulen können wir nicht allzu lang weitestgehend geschlossen haben. Ziemlich erstaunt hat mich die plötzliche Diskussion über diesen 15-Kilometer-Bewegungsradius für Hotspots. Die Bundesregierung wollte ja offenbar zunächst, dass dieser für einen Großteil der Republik gelten soll, was ich mit Blick auf das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, das nach wie vor zu beachten ist, ziemlich bedenklich finde. Ich wundere mich aus drei Gründen über diese Diskussion:

  • In Sachsen gilt der Bewegungsradius ja bereits. Dort ist es angesichts des Infektionsgeschehens vermutlich auch angezeigt. Nun wurde er ja vor allem mit Blick auf Thüringen bundesweit angestoßen, aber dort ist er jetzt nur eine Empfehlung. Das spricht für sich.
  • Dann ist ein Bewegungsradius ja nichts anderes als eine weichere Form der Ausgangssperre, die für Hotspots eine Möglichkeit sein kann. Ich bin jetzt kein großer Freund von diesem Instrument, aber ich frage mich schon, ob der eingeschränkte Bewegungsradius nun im Vergleich wirklich der große Bringer soll. Wie man das kontrollieren soll, ist ja auch fraglich.
  • Und was ich besonders interessant finde, ist der Bezug auf den Wohnort. Das würde in Berlin also mehr als ein ganzes Bundesland umfassen, während man auf dem Land ganz anders eingeschränkt würde. Von Orten an der Küste, Inseln und Halligen ganz zu schweigen. Das finde ich wirklich schwierig.


Sie merken, ich sehe den 15-Kilometer-Bewegungsradius skeptisch. Er wird bei uns auch nicht in die Verordnung übernommen, sondern in den Erlass für die Kreise. Ich hoffe sehr, dass wir in Schleswig-Holstein über diese Möglichkeit absehbar nicht ernsthaft werden sprechen müssen. 

Es ist ja mittlerweile bekannt: Wir sind sehr für bundesweite Abstimmung, aber auch für regionale Differenzierung, wenn es die Infektionslage zulässt. Bei einem bundesweiten Lockdown ist das natürlich schwierig und deshalb ärgere ich mich zunehmend darüber, dass immer wieder gerne die Bundesländer sofort nennenswert von den Vereinbarungen abweichen, die die Maßnahmen eigentlich besonders nötig hätten. Solidarität unter den Bundesländern kann keine Einbahnstraße sein. Man sieht es jetzt teilweise wieder im Schul- und Kita-Bereich.

Es muss jetzt darum gehen, auf vermeidbare Treffen und Begegnungen nach Möglichkeit zu verzichten. Die vorübergehende weitgehende Schließung von Kitas und Schulen ist besonders schmerzhaft, aber dadurch werden natürlich sehr viele Begegnungen vermieden. Ich halte es für sinnvoll, dass wir bei den Kitas bei der erweiterten Notbetreuung bleiben, die wir bereits aus dem bewährten Kita-Stufenplan aus dem letzten Frühjahr kennen. Die Übernahme der Elternbeiträge für den Januar kostet das Land zwar erneut eine Menge Geld, aber wenn der Staat hier eine Leistung in diesem Umfang nicht erbringen kann, sollte dies den Eltern meines Erachtens auch nicht in Rechnung gestellt werden. Weitere Maßnahmen wie die bereits erwähnte Ausnahme bei den Kontaktbeschränkungen, die Erhöhung der Kinderkrankentage und der mögliche Ausgleich des Lohn- bzw. Gehaltsverlustes bringen den Familien eine gewisse Entlastung, aber es ist nicht wegzudiskutieren, dass viele Familien trotzdem wieder stark belastet werden. Und das trifft leider noch immer vor allem die Mütter. Deshalb müssen diese Einschränkungen auch so schnell wie möglich aufgehoben werden. Ob dies noch vor Ende des Monats der Fall sein wird, können wir zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht versprechen.

Das gilt natürlich auch mit Blick auf die Schulen und das elementar wichtige Recht auf Bildung. Da gleich noch intensiver über die Schulen debattiert wird, möchte ich hierzu nur kurz sagen: Die Ausnahme für die Abschlussklassen und auch die Notbetreuungsmöglichkeiten sind absolut notwendig. Beim Distanzunterricht sollte darauf geachtet werden, dass die Schülerinnen und Schüler nicht nur einfach Wochenaufgaben zugeschickt bekommen, sondern dass es auch regelmäßigen Kontakt zur Lehrkraft mit entsprechenden Rückmeldungen gibt, auch wenn mir klar ist, dass das nicht einfach zu gewährleisten ist. Dies haben aber auch die Landesschülersprecher aus meiner Sicht zurecht angemahnt, denn die Konzepte für den Distanzunterricht sind ja recht unterschiedlich, was auch an der unterschiedlichen digitalen Ausstattung der Schulen liegt. Die Digitalisierung der Schulen müssen wir weiterhin konsequent vorantreiben. Die Schulträger brauchen da unsere Unterstützung und aus meiner Sicht auch noch mehr Flexibilität, insbesondere was die Anschaffung von digitalen Endgeräten angeht, deren Anteil beim Digitalpakt ja auf Wunsch des Bundes bei 20 Prozent gedeckelt ist. Genau diese Geräte werden aber dringend gebraucht. Das ist zumindest die Rückmeldung, die ich aus meinem Wahlkreis bekomme.

Es ist ja gar nicht mehr so lange hin, bis wir uns bald schon ein ganzes Jahr im Pandemie-Krisenmodus befinden. Und die ‚Krisen-Müdigkeit‘ – so will ich das mal nennen – ist bei vielen Menschen zunehmend spürbar. Ich habe den Eindruck, dass die nächsten Wochen sehr wichtig bei der Frage sein werden, ob wir vergleichsweise glimpflich durch diese tiefe Krise kommen werden oder eher nicht. Die breite Akzeptanz und das damit verbundene Mitziehen der großen Mehrheit der Bevölkerung sind ganz entscheidend für den Erfolg der Maßnahmen. Deshalb sollten gerade in dieser wichtigen Phase unnötige Fehler und auch völlig überzogene oder als nicht sinnvoll anerkannte Vorschläge möglichst vermieden werden.

Für die wirtschaftliche Existenz vieler Menschen ist es auch entscheidend, dass die Wirtschaftshilfen nicht nur angekündigt, sondern auch endlich ausgezahlt werden können. Die Bundesregierung ist hier in der Pflicht. Das Land steht für die Auszahlungen bereit, es muss nur endlich grünes Licht aus Berlin bekommen. Aber machen wir uns auch hier nichts vor: Gerade für viele kleine Einzelhändler wird es auch mit der Erstattung der Fixkosten sehr eng werden.

Oberste Priorität muss bei der Bundesregierung auch die Beschaffung von deutlich mehr Impfstoff haben. Das ist eine ganz zentrale Frage, ob wir die Pandemie absehbar in den Griff bekommen werden oder nicht. Ich habe zu den bemerkenswerten Auseinandersetzungen innerhalb der Bundesregierung eine sehr pointierte Meinung, aber darauf will ich jetzt gar nicht eingehen. Es muss jetzt doch wirklich alles dafür getan werden, dass zeitnah mehr Impfstoff geliefert wird, als bisher angekündigt ist. Es wird jetzt auch über die Umsetzung der Impfstrategie im Land diskutiert. Aber man kann es letztlich drehen und wenden, wie man will: Das Problem sind ganz einfach die viel zu geringen Liefermengen, die bei uns ankommen. Die gestern erfolgte Zulassung des Moderna-Impfstoffes ist da zumindest ein Hoffnungsschimmer. Anfang der Woche wurden in Schleswig-Holstein 15.000 Impftermine in nur 24 Minuten vergeben. Das zeigt zwei Dinge: dass die Impfbereitschaft in Schleswig-Holstein erfreulich hoch zu sein scheint und dass die Terminvergabe funktioniert. Ich kann den Frust der nicht zum Zuge gekommenen Interessenten absolut nachvollziehen. Es sollten aber nur Termine vergeben werden, die auch gehalten werden können. Dies gilt auch für die notwendigen Zweittermine, für die das Land entsprechende Risikopuffer beim Impfstoff einplanen muss. Alles andere macht überhaupt keinen Sinn, sondern sorgt nur für noch mehr Frust. Schleswig-Holstein war übrigens das erste Bundesland, in dem eine Online-Terminvergabe möglich war. Wir stehen im Vergleich mit den meisten anderen Bundesländern gut da. Es war auch die absolut richtige Entscheidung von Minister Garg, dass medizinisches und Pflegepersonal hier gleich mitgeimpft wird. Was bei der Terminvergabe weiter optimiert werden kann, wird auch getan werden. Unsinnige Vorschläge sollten aber bitte nicht umgesetzt werden.

Unser erklärtes Ziel ist es, dass Demokratie, Rechtsstaat und soziale Marktwirtschaft durch diese Pandemie keinen dauerhaften Schaden nehmen, sondern stattdessen gestärkt daraus hervorgehen. Klingt vielleicht etwas banal, ist es aber nicht. Wir sollten in diesen bewegten Tagen auch nicht übersehen, was anderswo auf der Welt gerade passiert. Zum Beispiel in Hongkong, aber auch in den USA, ohne das jetzt gleichsetzen zu wollen. Ich finde, es muss in dieser Zeit auch dazugehören, dass wir uns immer wieder in Erinnerung rufen, dass Demokratie und Rechtsstaat nicht selbstverständlich sind und immer wieder verteidigt und auch gepflegt werden müssen. Deshalb ist auch die Parlamentsbeteiligung aus meiner Sicht alles andere als ein Orchideen-Thema, sondern von elementarer Bedeutung. Wir sind da in Schleswig-Holstein zum Glück deutlich besser davor als andere Bundesländer, aber es gibt natürlich auch hier noch Luft nach oben, was kein Vorwurf an irgendjemanden sein soll. Daran werden wir also auch noch weiterhin arbeiten müssen, auch wenn mir natürlich völlig bewusst ist, dass wir noch eine ganze Weile sehr schnelle Entscheidungen brauchen werden.

Wie kommen wir aus dem Lockdown und damit aus dem Ausnahmezustand wieder heraus und wie können wir in dieser dunklen Zeit Perspektiven schaffen? Das schnellere Impfen ist dafür zentral, man hört mittlerweile aber auch von Fortschritten bei der Therapie bzw. bei der Entwicklung von Medikamenten, auch wenn dies leider nicht so schnell geht, wie beim Impfstoff. Der Schutz der älteren Menschen muss weiter optimiert werden, insbesondere in den Heimen. Das ist deutlich leichter gesagt als getan. Hier soll und muss jetzt noch einmal nachgesteuert werden, aber das ist natürlich auch eine Abwägungsfrage, denn eine totale Vereinsamung will ja am Ende auch niemand.

Die Teststrategien müssen immer weiter optimiert werden und wir brauchen insgesamt eine schnellere Kontaktnachverfolgung. In den Gesundheitsämtern wird Enormes geleistet, aber dass zum Beispiel die Warn-App bis heute keinen großen Beitrag leistet, ist eine Katastrophe. Wir müssen die Pandemie insgesamt endlich als digitalen Weckruf verstehen: nicht nur bei den Schulen und Hochschulen, sondern gerade auch für unsere Verwaltungen. Da müssen wir nicht nur mehr investieren, sondern auch mehr Mut haben. Vielleicht auch mehr Mut zu Fehlern. Das ist auch eine Einstellungsfrage. Wir brauchen eine echte bundesweite Digitalstrategie und meines Erachtens auch endlich ein Digitalisierungsministerium auf Bundesebene. Ein Heimatministerium war ja leider wichtiger. Wo ich gerade bei Herrn Seehofer bin: Dass sich der Bund jetzt intensiver um die Reiserückkehrer kümmern will, ist wirklich überfällig. Die Reiserückkehrer haben bereits im Sommer und Herbst massive Probleme verursacht und darunter leiden wir noch heute. Der Bundesinnenminister kritisiert ja gerne die Länder, aber er hat hier bisher einfach nicht seinen Job gemacht.

Lassen Sie uns jetzt alles daran setzen, dass es gelingt, das Infektionsgeschehen in den nächsten Wochen deutlich zu verringern. Jede und jeder Einzelne hat da eine Verantwortung und jeder kleine Beitrag hilft, um mehr Perspektiven für die Wochen und Monate danach zu schaffen. Es wird von vielen Seiten eine längerfristige Strategie gefordert, was ich auch teile. Aber das ist in der aktuellen Phase natürlich schwierig. Wir sollten die kommenden Wochen auf jeden Fall dazu nutzen, um Stufenpläne zur Öffnung der verschiedenen Bereiche zu entwickeln – jedenfalls dort, wo dies Sinn ergibt. Wir hatten das ja schon im letzten Frühjahr für die Kitas oder auch für Veranstaltungen entwickelt und damit sind wir gut gefahren. Mitte Januar werden wir das Infektionsgeschehen und die Belastung des Gesundheitssystems in Schleswig-Holstein sehr intensiv anschauen und ich hoffe sehr, dass es dann schon etwas freundlicher aussieht.“

Es gilt das gesprochene Wort!