In seiner Rede zu TOP 1+40 (Regierungserklärung zu "Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf Schleswig-Holstein" sowie Antrag "Der Bundeswehr den Rücken stärken") erklärt der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Christopher Vogt:
"Ich danke dem Ministerpräsidenten für seine klare Worte! Und ich danke auch der Landesregierung für ihre angesprochenen Taten. Denn ich habe den Eindruck, dass Schleswig-Holstein wieder einmal schnell und entschlossen handelt und zusammensteht. Darunter sind auch viele Ehrenamtler, im Übrigen auch viele Helfer, die im Ahrtal mit angepackt haben und diesen Menschen müssen wir den Rücken stärken. Ich bin aber auch dankbar dafür, dass wir es wieder einmal geschafft haben, dass wir interfraktionell angemessen mit der Situation auch parlamentarisch umgehen, auch das ist in solchen Zeiten wichtig. Man muss sicherlich kein Militärexperte sein, um zu erkennen, dass sich Putin mit diesem schrecklichen Angriffskrieg massiv verkalkuliert hat. Die Menschen in der Ukraine leisten erbitterten Widerstand. Die NATO und die EU waren lange nicht so geschlossen und entschlossen wie heute. Gerade in Deutschland hat ein Umdenken stattgefunden. Russland hat sich auf Jahre international isoliert und ist jetzt de facto von China abhängig geworden.
Der schreckliche Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine bricht nicht nur eklatant das Völkerrecht, unsere zivilisatorische Ordnung in Europa ist damit nachhaltig beschädigt. Anders als die Sowjetunion ist das Russland Putins schwer berechenbar geworden. Wir waren zu lange viel zu gutgläubig. Ich will die Suche nach diplomatischen Wegen gar nicht verurteilen. Das ist mit Blick auf unsere Vergangenheit – gerade auch gegenüber Russland – ja durchaus verständlich gewesen. Aber wir werden ja Tag für Tagt mit sehr klaren Worten aus Osteuropa darauf hingewiesen, dass Deutschland auch eine historische Verantwortung gegenüber den Balten, den Polen, den Ukrainern und anderen osteuropäischen Völkern hat. Der Angriff Russlands auf die Ukraine begann ja nicht am 24. Februar 2022, sondern bereits im Jahr 2014. Wir haben auf die vielen Warnungen – gerade aus Osteuropa – leider nicht gehört. Wir hätten unsere Bundeswehr und damit unsere Wehrhaftigkeit nach außen niemals so vernachlässigen dürfen. Damit haben wir nicht nur uns selbst geschadet, sondern auch unserem Kontinent.
Die Menschen in der Ukraine verteidigen nicht nur ihr Land und ihre Identität, sie verteidigen Freiheit und Demokratie in Europa, vor der sich Putin und seine Leute so sehr fürchten. Das kann man am Niederschießen des Aufstands in Kasachstan sehen oder auch am Niederknüppeln, mit russischer Unterstützung, der Demokratie- und Freiheitsbewegung in Belarus. Das ist nur die jüngste Vorgeschichte zu diesem Angriff. Putin hat jetzt die Maske fallen gelassen und wir müssen ihn jetzt weiter isolieren. Es ist unerträglich, dass mitten in Europa nicht nur wieder mit Gewalt und Lügen Grenzen verschoben werden sollen, wir beobachten in der Ukraine jetzt auch, wie zunehmend gezielt Zivilisten ermordet werden. Wer so handelt, kann kein Partner mehr für uns sein, auch nicht nach einem möglichen Friedensschluss.
Ich bewundere die tapferen Menschen in der ukrainischen Armee. Sie brauchen jetzt unsere Unterstützung. Eine Ausweitung des Krieges auf NATO-Gebiet muss jedoch unbedingt vermieden werden. Das ist ein großes militärisches Dilemma, vor dem wir stehen. Waffenlieferungen sind jedoch sehr wichtig für den weiteren Kriegsverlauf. Niemand tut dies gern, aber es ist leider notwendig. Ich bin der Meinung, Deutschland und andere EU- und NATO-Partner müssen alles dafür tun, damit die Ukraine noch mehr Waffen, Munition und Mittel bekommt, damit die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Wenn die Bestände leer sind, muss eben neues Material beschafft werden.
Ich habe kein Verständnis für diejenigen, die meinen, die Ukraine solle kapitulieren oder für diejenigen, die glauben, Putin wolle verhandeln. Er muss dazu gezwungen werden. Insofern muss das Ziel der vollständige Rückzug der Russen aus der Ukraine sein. Und die schrecklichen Kriegsverbrechen der Russen müssen dokumentiert werden und später geahndet werden.
Deutschlands Rolle in Europa und der Welt wird sich nachhaltig ändern müssen. Und es muss sich auch innenpolitisch einiges ändern. Was überhaupt nicht mehr geht, ist diese Kumpanei mit Russland, die nicht nur am rechten und linken Rand in Deutschland wahrnehmbar war und ist, sondern auch in den demokratischen Parteien. Da war keine historische Verantwortung gegenüber Russland, sondern das war Kumpanei mit einem System, das unser System bekämpft und seit Jahren destabilisieren will. Das muss ein Ende haben. Die schnellen und harten Sanktionen wirken, die russische Wirtschaft ist in eine tiefe Krise gestürzt worden. Der Westen wird hier ggf. noch weiter nachsteuern müssen. Aber neben dem militärischen Dilemma stehen wir auch vor einem energiepolitischen Dilemma. Wir haben uns in eine Anhängigkeit manövriert energiepolitisch, die unfassbar ist. Da geht es nicht nur um das vieldiskutierte Gas, sondern es geht auch um Kohle, Öl usw. Ich bin sehr für weitere Sanktionen, aber man muss sie auch durchhalten können: Bei Öl und Kohle mag dies gelingen, bei Gas ist das nicht so einfach. Deshalb bin ich bei diesen Sanktionen skeptisch, auch wenn ich gerne sagen würde, dass man die Energielieferungen am besten sofort einstellen sollte. Das geht aus meiner Sicht nicht so einfach, weil davon auch unsere Stärke abhängt.
Und es gibt ein drittes Dilemma. Der Krieg hat massive Auswirkungen auf viele Bereiche unseres Lebens, auch auf die Landwirtschaft und somit die Ernährung. Die Ernährung in Deutschland wird gesichert sein, da mache ich mir keine Sorgen. Ich glaube auch, dass die Ernährung in Europa gesichert sein wird. Aber in Teilen der Welt droht jetzt eine Hungerkrise, vor allem in Afrika. Und wenn ich Bilder sehen, wo die russische Marine offenbar gezielt Weizenfrachter im Schwarzen Meer beschießt und versenkt, dann machen die das aus einem bestimmten Grund. Eine solche weitere humanitäre Katastrophe müssen wir unbedingt verhindern. Deshalb müssen wir darüber sprechen, was wir mit unserer Landwirtschaft in Deutschland und Europa machen. Was machen wir mit Flächen? Kann man in diesen Tagen Flächen stilllegen, die für die Ernährung der Welt wichtig sind? Ich finde nicht. Wir haben auch eine humanitäre Katastrophe in der Welt zu befürchten, die wir verhindern müssen. Deswegen müssen wir ein Belastungsmoratorium machen, wir dürfen Flächen in den nächsten ein bis zwei Jahren nicht stilllegen und wir müssen über das Thema Vorkaufsrecht für die Stiftung Naturschutz sprechen. Denn es ist ethisch nicht verantwortbar, wenn wir die Ernährungswirtschaft schwächen.
Und wir haben eine humanitäre Katastrophe in Europa mit Blick auf die Ukraine. Wir haben viele Flüchtlinge, die in diesen Tagen zu uns kommen und es werden mehr werden. Es gibt zum Glück wieder eine große Hilfsbereitschaft in Europa, die müssen wir stärken. Osteuropa leistet hier sehr viel, vor allem die Polen. Und ich danke auch den vielen Menschen, die spenden. Bund, Länder und Kommunen müssen hier gemeinsam Verantwortung übernehmen. Jetzt ist überall unbürokratische Hilfe gefordert. Es werden wohl mehr Menschen zu uns kommen als bisher erwartet. Viele Menschen wollen schnell zurückkehren. Ich befürchte nur leider, dass das so schnell nicht möglich sein wird. Deshalb sollten wir uns darauf einstellen, dass die Menschen länger hier bleiben werden. Deshalb sollten wir mit der Integration schnell beginnen, beispielsweise in Schulen und Kitas. Jetzt erstmal wichtig, dass die Unterbringung und Versorgung gewährleistet ist. Deshalb müssen wir mit Blick auf die Kommunen das Vergaberecht vereinfachen, damit schnell Hilfe geleistet werden kann. Auch wenn es niemand gerne hört, wir werden Kita-Gruppen eventuell zeitweise größer machen müssen. Und auch in den Schulen wird es eine große Herausforderung werden, denn auch dort muss man darüber nachdenken, teilweise auch digitalen, ukrainischen Distanzunterricht zu machen.
Wir haben viele Herausforderungen hinsichtlich unserer Bundeswehr. Schleswig-Holstein wird als Bundeswehrstandort wieder wichtiger werden. Es gibt hier eine große Unterstützung der Bundeswehr in unserer Bevölkerung. Eben auch durch eine gewisse Tradition und Verbundenheit. Die Wehrtechnikbranche ist hier ebenfalls stark vertreten, sie macht in etwa die Hälfte unserer Industrie aus. Wir brauchen einen realistischen Blick auf unsere Armee und die Rüstungsindustrie. Und ich kann mich da noch an kontroverse Diskussionen im Landtag über U-Boot-Lieferungen nach Norwegen erinnern. Norwegen ist ein NATO-Staat, Norwegen hat noch keinen Angriffskrieg gestartet in seiner Vergangenheit und Norwegen ist seit Jahren massiv von Russland bedroht. Solche Debatten sollten wir uns jetzt vielleicht sparen. Und auch die Taxonomie-Verordnung der EU halte ich für problematisch. Die 100 Milliarden Euro Sondervermögen des Bundes müssen bei der Bundeswehr ankommen. Das Beschaffungswesen muss deutlich vereinfacht werden. Es geht dabei nicht um ‚Aufrüstung‘, die sozialliberale Koalition hat in der Vergangenheit deutlich mehr als zwei Prozent des BIP ausgegeben, sondern es geht um Ausrüstung. Es geht weiter darum, diplomatische Verhandlungen zu führen, aber man braucht eben auch Abschreckung.
Die Wehrpflicht kann man nicht vollends ausschließen, ist aber derzeit nicht der richtige Weg. Ich höre aus den Reihen der Bundeswehr, dass sie gar nicht darauf vorbereitet ist, massenhaft Wehrpflichtige aufzunehmen, denn man müsste diese ja aus rechtlichen Gründen auch auf die Frauen ausweiten. Die Bundeswehr braucht vielmehr Spezialisten und High-Tech-Geräte. Darum muss es jetzt gehen und nicht um die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht. Wir sollten stattdessen die freiwillige Wehrpflicht noch attraktiver und bekannter machen. Wir sollten aber auch Jugendoffiziere in unsere Schulen lassen. Es gibt Schulen, die wollen das nicht, weil sie keine Armeeangehörigen haben. Aber es geht hier nicht um Rekrutierung, sondern um Aufklärung und Diskussionen über sicherheitspolitische Fragen, die wichtig sind. Das sind keine Nischenthemen mehr, sondern grundsätzliche Debatten.
Beim Thema Energieversorgung ist Gas das Hauptproblem. LNG kann da bald eine Lösung sein. Ich bin froh, dass wir da immer standhaft geblieben sind, weil immer klar, dass die einseitige Abhängigkeit zum Problem werden kann. Es steht ja auch im Koalitionsvertrag, den wir an dieser Stelle mit Herrn Losse-Müller verhandelt haben, der das nicht wollte. Es gab da eine tiefe Abneigung gegen die USA und ‚Fracking-Gas‘. Wir brauchen auch einen neuen Anlauf für ein Freihandelsabkommen mit den USA und auch Kanada. Wir müssen das Terminal schnell bauen, ähnlich wie bei Tesla in Brandenburg. Es sind ja verschiedene Genehmigungsverfahren – es geht um den Hafen, das Terminal, die Pipeline – die deutlich beschleunigt werden müssen, genauso wie das Planungsrecht insgesamt reformieren werden muss. Wir haben für dieses Verhinderungsrecht keine Zeit mehr. Es macht auch Sinn, dass Mittelplate temporär mehr Öl fördert. Niemand will einen Rollback zu fossilen Energieträgern, aber wir müssen das, was wir im Land haben und dass uns unabhängiger macht, auch nutzen. Und auch mit Blick auf die drei verbliebenen Kernkraftwerke bzw. auf Brokdorf muss man einen Weiterbetrieb ernsthafter prüfen, auch wenn mir das schwer fällt, denn ich bin kein Freund von Kernenergie. Wenn man in Katar um Gas bittet, muss auch dies eine ernsthaftere Option sein. Bin ja dankbar, dass Robert Habeck diesen Job übernimmt.
Die Erneuerbare Energie muss weiter ausgebaut werden, auch Offshore-Windenergie, standorttreues Repowering, Wasserstoffprojekte, das Ammoniak-Terminal und die Ansiedlungen an der Westküste müssen vorangebracht werden. Es muss eine weitere Entlastung der breiten Mitte geben bei den Energiepreisen. Wir müssen die Wehrhaftigkeit nach außen stärken, aber auch nach innen, also die Polizei und den Verfassungsschutz. Wir brauchen eine starke Cyberabwehr, denn wir müssen uns auf Spionage und Sabotagen einstellen und diese verhindern. Wir haben viel zu tun, und in der Tat: Wir müssen Angriffe auf hier lebende Russen unterbinden, wir müssen aber auch unterbinden, dass hier Fake News verbreitet werden. Wir fühlen uns wohl alle manchmal ohnmächtig, aber wir können etwas tun. Man kann den Menschen in der Ukraine helfen, wir können uns unabhängiger machen. Das Gefühl, man würde in einer Art ‚Dauerkrise‘ stecken, nämlich von der Corona-Krise in diese Krise, dann ist das Signal gerade an junge Menschen: Wir werden auch diese Krise meistern und unsere Stärken ausspielen. Europa ist stärker, als man vielleicht meinte. Demokratie und Freiheit sind auf Dauer stärker als Diktatur und Verbrechen. Wir stehen an der Seite der Ukraine.“
Sperrfrist Redebeginn!
Es gilt das gesprochene Wort