Europa/Europabericht

Dr. Ekkehard Klug: Mit den Partnern in der Ostseeregion über die Krise Europas sprechen

Der erste Satz des Berichts der Landesregierung lautet: ‚Europa steht in dieser Zeit vor erheblichen Herausforderungen‘.

 

Das ist gelinde gesagt, eine extreme Verharmlosung der tatsächlichen Lage. Das vereinte Europa steckt in Wirklichkeit in der größten Krise seiner Geschichte. Sein Fortbestand steht auf der Kippe. Statt europäischer Lösungen sind nationale Alleingänge an der Tagesordnung. Dies und die Unfähigkeit der Staats- und Regierungschefs, auf den Brüsseler Gipfeltreffen Lösungsansätze zu finden, die einen Ausweg aus dieser Entwicklung eröffnen, lässt die zentrifugalen Kräfte immer stärker werden. Damit wächst auch die Gefahr, dass sich im Juni ein großer Mitgliedsstaat, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland, durch ein Referendum aus der Europäischen Union verabschiedet.

 

Müssen, dürfen wir als ‚kleine Landespolitiker‘ diese Entwicklung aus einer bloßen Zuschauerrolle weiter nur passiv beobachten, und wenn nicht - was können wir überhaupt tun?

 

Wir sollten dieses Auseinanderdriften Europas nicht nur einfach aus einer Beobachterrolle heraus geschehen lassen. Ich meine, wir sollten die in den letzten Jahrzehnten geschaffenen institutionellen Rahmen nutzen, um mit unseren Partnern über die Situation zu sprechen – und über mögliche Auswege. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Landesregierung und Landtag in diesem Jahr im Rahmen der Ostseekooperation nur mit einem ‚Klein-klein auf Pepita-Niveau‘ ein ‚Business as usual‘ betreiben. In Foren wie dem Ausschuss der Regionen und der Ostseeparlamentarierkonferenz sollten mit unseren Freunden aus anderen Mitgliedsländern der EU auch über die alles überlagernden großen Fragen der Zukunft zu sprechen.

 

Wenn man über zunehmende Alleingänge und Abgrenzungserscheinungen Klage führt, dann muss man auch einsehen, dass Deutschland diese Entwicklung Anfang September mit der einsamen Entscheidung der Bundeskanzlerin zur Grenzöffnung für Flüchtlinge und damit zur faktischen Außerkraftsetzung des Dublin-III-Abkommens der EU eingeleitet hat. Eine solche Einsicht - und die damit verbundene Botschaft, dass wir nicht von unseren Partnern in der EU erwarten, dass sie nach der deutschen Pfeife tanzen, ist auch unabdingbar, wenn man einen neuen Konsens erreichen will.

 

Es ist unschwer vorauszusehen, dass die Hoffnung der Bundeskanzlerin auf einen ‚Deal‘ mit der Türkei – zumal in deren gegenwärtiger politischer Verfassung – politischen Sprengstoff enthalten, der die Situation noch schlimmer machen dürfte, als sie ohnehin schon ist. Weder ein beschleunigter EU-Beitritt der Türkei noch die von Ankara geforderte Visafreiheit im Reiseverkehr werden bei den 28 Mitgliedsstaaten der EU auf ungeteilte Zustimmung stoßen.

 

Wäre es nicht besser, ein europäisches Förderprogramm für jene mindestens 400.000 syrischen Kinder zu entwickeln, die derzeit in Flüchtlingslagern in der Türkei keine Schule besuchen?

 

Wenn schon in Brüssel offenbar niemand selbst auf eine solche Idee kommt – wäre es dann nicht nötig, solche Vorschläge aus den europäischen Regionen heraus nach Brüssel zu schicken?

 

Würde dagegen nicht – zum Beispiel – die Einführung der Visafreiheit sogar eine neue Fluchtbewegung begünstigen – etwa, weil Menschen aus dem vom türkischen Militär zerbombten kurdischen Städten in Europa Zuflucht suchen?

 

Bereits gestern hat der deutsche Vizekanzler und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel davor gewarnt, die Beitrittsfrage mit dem Flüchtlingsthema zu verknüpfen. Aber war es nicht genau dies, was am Wochenende beim EU-Türkei-Gipfel auf die Agenda gesetzt wurde – und worauf die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel ihre vermeintlich ‚europäischen‘ Lösungspläne aufbaut?

 

Das ‚Handelsblatt‘ schrieb gestern über den vertagten ‚Deal‘ mit der Türkei über die Rücknahme von Flüchtlingen aus der EU – im Gegenzug für die genannten Forderungen der Regierung in Ankara:

 

‚Der Vorschlag kam für die meisten der 28 EU-Staaten am Montagmittag wie Kai aus der Kiste. Ausklamüsert hatte ihn Bundeskanzlerin Angela Merkel offenbar in der Nacht vor dem offiziellen Gipfeltreffen im Beisein des niederländischen Regierungschefs Mark Rütte mit dem türkischen Premier Ahmet Davutoglu‘.“