Innen/ Verfassungsschutzbericht 2020

Jan Marcus Rossa zu TOP 53 „Verfassungsschutzbericht 2020“

Jan Marcus Rossa

In seiner Rede zu TOP 53 (Verfassungsschutzbericht 2020) erklärt der innenpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Jan Marcus Rossa:

„Der Bericht bestätigt eine Entwicklung, die wir schon in den letzten Jahren mit Besorgnis verfolgten. Immer mehr Aktivitäten von Extremisten werden ins Netz verlagert. Das erhöht den Überwachungsaufwand für unsere Sicherheitsbehörden deutlich. Das bestätigt aber auch, dass die Initiative der FDP-Fraktion in den letzten Haushaltsverhandlungen, den notwendigen Personalaufbau beim Landesverfassungsschutz finanziell abzusichern, nicht nur sinnvoll, sondern sogar geboten war. Die Sicherheitsbehörden müssen für eine wirksame Aufklärung im Internet versierte Mitarbeiter gewinnen. Für die Beobachtung von Extremisten ist und bleibt auch im digitalen Umfeld die Personalstärke ein entscheidender Faktor für den Ermittlungserfolg. Neue Formen des Extremismus zu erkennen und zu bewerten, braucht gutes Personal in der Auswertung.

Auf den ersten Blick scheint es einen Rückgang politisch motivierter Straftaten zu geben. Wobei die Anzahl an Gewalt- und Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger im letzten Jahr spürbar zugenommen hat. Es bleibt also abzuwarten, ob wegen der Corona-Pandemie einfach weniger Gelegenheit bestand, z.B. im Rahmen von Versammlungen und sonstigen Veranstaltungen politisch motivierte Straftaten zu verüben, oder ob sich dieser rückläufige Trend fortsetzt. . Es ist also keineswegs an der Zeit, Entwarnung zu geben.

Vor besonderen Herausforderungen stehen unsere Sicherheitsbehörden bei den Protestbewegungen, die sich gegen die Corona-Politik wenden. Hier vermischen sich Bürgerinnen und Bürger, die ihren Unmut zum Ausdruck bringen wollen und sich zu Recht auf ihre verfassungsrechtlich geschützte Meinungs- und Versammlungsfreiheit berufen, mit radikalen extremistischen Gruppierungen. Kritik an Regierungshandeln müssen der Staat und seine Repräsentanten aushalten. Das sollte nicht in Frage gestellt werden. Problematisch wird es aber dann, wenn sich Extremisten, rechtsradikale Anhänger der Reichsbürger- oder der identitären Bewegung unter die Demonstranten mischen und die Meinungsführerschaft übernehmen. Der Bundesverfassungsschutz hat einen neuen Phänomenbereich unter dem Titel ‚Verfassungsrelevante Delegitimierung des Staates‘ geschaffen, um diese teils als extremistisch eingeschätzten Teile der Bewegung erfassen und beobachten zu können, denn diese Strömungen passen nach Ansicht des Bundesverfassungsschutzes  in keine der bisherigen Kategorien.

Allerdings ist hier auch Vorsicht geboten. Wir können nicht dulden, dass mit der Definition eines neuen Phänomenbereichs Menschen ins Visier der Verfassungsschützer geraten, die sich rechtskonform verhalten und lediglich das Recht für sich in Anspruch nehmen, staatliches Handeln auch lautstark und heftig zu kritisieren. Hier erwarte ich, dass die Verfassungsschutzbehörden einen Weg finden, unschuldige und unverdächtige Personen in Ruhe zu lassen und keinen Überwachungsdruck zu schaffen, der zu einer faktischen Beschränkung unserer Freiheitsrechte führt.

Ich will sehr bewusst noch ein anderes Thema hier ansprechen: die Situation in Afghanistan, über die wir ja am Mittwoch ausführlich debattiert haben. Unser aller übereinstimmender Wille, den Menschen dort in ihrer Not zu helfen, darf nicht unberücksichtigt lassen, dass nicht ausgeschlossen ist, dass mit den Menschen von dort auch Kriminelle oder Islamisten in unser Land einreisen. Die islamistische Szene war und ist auch in Deutschland, bzw. Schleswig-Holstein aktiv. Aber wir müssen dieses Risiko meiner Ansicht nach in Kauf nehmen, denn was ist die Alternative? Wer aktuell in Afghanistan in Lebensgefahr schwebt, muss geschützt werden, und zwar unabhängig davon, ob er als Straftäter oder Gefährder erst vor kurzem aus Deutschland ausgewiesen worden ist.

Aber: Unsere Sicherheitsbehörden müssen jetzt sofort Maßnahmen ergreifen, um etwaige Gefährder umfassend zu beobachten. Nur so können Gefährdungen frühzeitig erkannt und ihnen wirksam entgegengewirkt werden. Ein Fall Anis Amri darf sich nicht wiederholen. Aber ein solcher Fall kann für einen Rechtsstaat eben auch keine Rechtfertigung dafür sein, Straftäter und Gefährder nicht zu retten, wenn sie in Afghanistan konkret in Lebensgefahr schweben. Das ist das Dilemma, in dem sich ein Rechtsstaat in solchen Extremsituationen befindet. Aber unsere Verfassung und unsere Rechtsordnung geben uns vor, wie der Staat zu handeln und zu entscheiden hat, wenn ein potentieller Gefährder selbst mit dem Tode bedroht wird. Und das muss nicht nur akzeptiert, sondern auch politisch vermittelt werden, auch wenn das schwer ist.“

Rede zu Protokoll gegeben.