Landwirtschaft/ Freiwilliger Lieferverzicht

Oliver Kumbartzky zu TOP 22 „Freiwilliger Lieferverzicht als Kriseninstrument in der EU verankern“

Oliver Kumbartzky

In seiner Rede zu TOP 22 (Freiwilliger Lieferverzicht als Kriseninstrument in der EU verankern) erklärt der Parlamentarische Geschäftsführer und agrarpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Oliver Kumbartzky:

„Nie zuvor in der bundesdeutschen Geschichte gab es Lebensmittel in einer so hohen Qualität und Vielfalt zu erwerben wie heute. Aber gleichzeitig sind die Ausgaben für Lebensmittel historisch niedrig. Gerade einmal rund zehn Prozent des durchschnittlichen Einkommens geben die Deutschen für Nahrungsmittel aus. Parallel zu dieser Entwicklung hat sich die Anzahl der landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe drastisch reduziert. Und obwohl rein rechnerisch jeder Landwirt mittlerweile 140 Menschen in Deutschland ernährt, ist das durchschnittliche Einkommen in der Landwirtschaft nicht signifikant gestiegen. Hinzu kommt, dass viele Landwirte durch die steigenden Erwartungen einer saturierten Gesellschaft immer stärker unter Druck gesetzt werden.

Immer häufiger ist dabei zu beobachten, dass die Politik – aktuell die Bundesregierung – diese Stimmungslage gerne aufnimmt, um zusätzliche Auflagen und Verbote umzusetzen. Beispiele sind hier das Insektenschutzpaket oder die Düngeverordnung. Zur Beschwichtigung eines zurecht aufgebrachten Berufsstandes sah man sich in Berlin dann gezwungen, kurzerhand Hilfsgelder wie die sogenannte Bauernmilliarde in Aussicht zu stellen. Im vermeintlich ruhiggestellten Berufsstand folgt spätestens die Ernüchterung, wenn die Auflagen für die Inanspruchnahme der Hilfsgelder bekannt werden.

Den Landwirtinnen und Landwirten im Land geht es um etwas anderes, nämlich um faire Wettbewerbsbedingungen. Darüber hinaus benötigen sie die richtigen Instrumente, um sich gegen schwankende Preise eigenständig abzusichern. So würde es zum Beispiel helfen, wenn die Ansparung einer liquiditätswirksamen Risikoausgleichsrücklage in der Land- und Forstwirtschaft steuerfrei ermöglicht werden würde, um die Eigenvorsorge der Betriebe hinsichtlich volatiler Preise anzuregen. Aber das ist nur ein Baustein. Wenn wir langfristig denken und handeln, ist klar, dass unsere Landwirte nur von verbesserten Einkommen profitieren, wenn die Politik für ein Level-Playing-Field in sämtlichen Rechtsbereichen der Lebensmittelerzeugung sorgt. Im Idealfall gar mit einheitlichen Regelungen auf europäischer Ebene. Konkret zum Milchmarkt: Hier ist vor einigen Jahren zwar eine Mengensteuerung, sprich die Milchquote, aufgegeben worden. Aber es wurde daraufhin eben auch nur ein sehr unvollkommener Wettbewerbsmechanismus eingeführt.

Und da sind wir bei der Andienungs- und Abnahmepflicht. Ein Landwirt ist in der Regel daran gehalten, seine gesamte Milchmenge vollständig und unabhängig von der Marktsituation einer Molkerei anzubieten. Und diese Molkerei muss alles annehmen. Anschließend verhandelt diese mit dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) über den Preis nach der Weiterverarbeitung. Der Landwirt weiß also zu dem Zeitpunkt, zu dem er die Milch an die Molkerei abgibt, gar nicht, wie hoch sein Milchgeld ist. Nachdem LEH und Molkerei dann ihre jeweiligen Kosten abgezogen haben, bekommt der Landwirt das, was übrig bleibt. Hier sieht man doch auf den ersten Blick, dass der Erzeuger eine sehr schwache Position hat und quasi das erhält, was übrig bleibt. Deswegen könnte die Anwendung des Artikels 148 der Gemeinsamen EU-Marktorganisation Sinn machen. Der Artikel ermöglicht seit 2018, verbindliche, schriftliche Lieferverträge – also ein Recht auf einen Vertrag, der unter anderem Preis und Menge regelt – festzuschreiben. Genossenschaften wären übrigens davon befreit, sofern deren Statuten diese Punkte bereits regeln. Mit einer Anwendung des Artikels 148 würde den milcherzeugenden Betrieben Verlässlichkeit hinsichtlich der Milchvermarktung geboten und die Milchpreisabsicherung seitens der verarbeitenden Unternehmen angereizt werden. Des Weiteren könnte mit der vertraglichen Erzeugung eine Produktion am Markt vorbei weitgehend ausgeschlossen werden.

Ein weiterer Ansatz ist der in unserem Antrag genannte freiwillige Lieferverzicht, wobei wir uns hier klar für eine absolute Freiwilligkeit und gegen eine Quote light und gegen ein Bonus-Malus-System aussprechen. Was ist darüber hinaus noch zu tun? Das Bundeskartellamt ist personell und kompetenzseitig zu stärken, um der Entstehung marktbeherrschender Stellungen frühzeitig entgegen zu wirken. Ich erinnere an dieser Stelle an Sigmar Gabriel, der sich 2016 als Wirtschaftsminister über die Empfehlung des Bundeskartellamts hinweggesetzt hat und die Fusion von Kaisers-Tengelmann und Edeka durchgewinkt hat. So etwas darf sich nicht wiederholen.

Entscheidend ist eben auch die tatsächliche Verhandlungsmacht der Erzeuger und ihrer Vermarktungsorganisationen gegenüber ihren Abnehmern. Auch diese gilt es zu stärken. Die kartellrechtlichen Möglichkeiten zur Bündelung auf Erzeugerebene auf alle von Landwirten getragenen Vermarktungs- und Verarbeitungsorganisationen sollten daher erweitert werden. Und auch auf Europaebene besteht Handlungsbedarf. Die Harmonisierung der Nutztierhaltungsstandards ist endlich mal zum Abschluss zu bringen. Außerdem bedarf es unverzüglich auf europäischer Ebene eines Konzeptes für die Einführung eines bindenden, mehrstufigen Tierwohl- und Herkunftskennzeichens für alle tierischen Erzeugnisse über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg.

Zusammenfassend gesagt: Die Tatsache, dass ein Milchbauer zum Zeitpunkt, an dem seine Milch abgeholt wird, nicht weiß, welchen Preis er für einen Liter bekommt, sondern das erst einige Tage später per Bescheid erfährt, ließe sich ändern. Außerdem brauchen wir für schwere Krisen freiwillige Instrumente. Und: Das Ungleichgewicht der Marktkräfte zwischen Erzeugern auf der einen Seite und dem LEH auf der anderen Seite muss behoben werden.“

Es gilt das gesprochene Wort!