Stephan Holowaty zu TOP 22 u.a. "Anträge zur Wahl zum Europäischen Parlament 2019 und Europabericht 2018-2019"

SH

In seiner Rede zu TOP 22 u.a. (Anträge zur Wahl zum Europäischen Parlament 2019 und Europabericht 2018-2019) erklärt der europapolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Stephan Holowaty:

,,Das vereinte Europa ist immer ein Symbol für Frieden und Freiheit gewesen. Ein Symbol dafür, dass Menschen über die Grenzen von Ländern hin- weg zusammenarbeiten für eine gemeinsame Zukunft in Frieden, Freiheit und Wohlstand. Aber kurz vor der Wahl zum Europaparlament erleben wir: Europa ist in einer Krise.

Seit zwei Jahren erleben wir beim Brexit eine außer Rand und Band geratene Politik, die sich nur in einem einig ist: dass sie sich nicht einig ist. Wir erleben die Ohnmacht Europas beim Umgang mit Ländern wie Ungarn oder Polen, die Schritt für Schritt Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte abbauen.

Und wir haben gerade in dieser Woche bei der Abstimmung über die Urheberrechtsrichtlinie einen für mich neuen und bislang unvorstellbaren Tief- punkt im politischen Europa erlebt: Über fünf Millionen Unterschriften, über 200.000 Demonstranten waren nicht nur ein Protest, sondern auch eine Chance. Europäer, die ihrem Engagement um die Freiheit im gemeinsamen Europa Ausdruck verleihen.

Das Europaparlament hat diesen Protest nicht nur ignoriert, wir erleben einen Umgang mit Andersdenkenden, der mir wirklich Angst macht: eine einzigartige Welle an Desinformation, an Beleidigungen. Wer Andersdenkende als ,Bots` bezeichnet, als ,ferngesteuert von US Konzernen`, als ,gekaufte Demonstranten`: Den politischen Gegner mit unlauteren Unterstellungen kleinzureden.

Damit erreicht das vereinte Europa einen Tiefpunkt in der demokratischen Streitkultur und einen weiteren Höhepunkt der neuen autoritären Strömungen auf unserem Kontinent. Leider ist da kein Ende in Sicht. EU- Justizkommissarin Jourová hat erst vor zwei Tagen behauptet, Uploadfilter hätten den furchtbaren Terroranschlag in Neuseeland verhindert.

Was geschieht hier? Genau das, wovor ich vor nur gut drei Wochen an dieser Stelle bereits gewarnt habe. Der nächste Schritt hin zum Abbau der Grundrechte ist damit vorbereitet. Wenn es Uploadfilter gibt, können die auch zur Meinungskontrolle eingesetzt werden. Mit Uploadfiltern wurde ein Instrument geschaffen, das man missbrauchen kann. Manche Politiker wer- den dieser Versuchung nicht widerstehen können. Wir alle wissen, was so manch ein Staat unter ,Terrorpropaganda` versteht ­ nämlich jede Art von kritischer Äußerung gegenüber der jeweils herrschenden Politik. Diese Vor- wände werden zu oft zum Abbau von Grundrechten und Grundfreiheiten der Bürger genutzt. Schauen wir in die Geschichte. Wie viele Warnungen braucht es noch?

Katarina Barley, die Spitzenkandidatin der SPD im Europawahlkampf, könnte diese Richtlinie im Europäischen Rat auch jetzt noch stoppen. Es geht nicht darum, die Urheberrechtsrichtlinie jetzt ,userfreundlich`, wie Ministerin Barley sagt, umzusetzen. Es geht darum, diese Richtlinie jetzt zu stoppen und Urheberrechte nicht zum Abbau von Grundrechten zu missbrauchen.

Das hat nichts mit Kabinettsdisziplin zu tun, sondern schlicht mit dem Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD im Bund.

Ich fordere daher Sie, Herr Dr. Stegner, als stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD, auf, im Bund auch in diesem Fall auf die Einhaltung des Koalitionsvertrages zu pochen.

Die Kollegen von der CDU haben sich hier im Hause teilweise schon eindeutig gegen das positioniert, was die CDU in der EVP-Fraktion im Europaparlament veranstaltet. Ich danke Ihnen, Herr Kollege Killian, für Ihre eindeutige Positionierung.

Ich bin sehr stolz darauf, dass dieses hohe Haus sich mit so überwältigen- der Mehrheit vor drei Wochen als einziger Landtag klipp und klar für die Meinungsfreiheit positioniert hat. Ihnen, jedem Einzelnen, der zugestimmt hat, gilt dafür mein Dank und Respekt. Wir sollten uns alle dafür einsetzen, dass dieser Beschluss auf Bundeseben und in Europa seinen Durchschlag findet.

Was wir in der Debatte um die Urheberrechtsreform erlebt haben, muss uns bei dieser Europawahl eine Lehre sein. Den Anderen erstnehmen und vor allem respektieren ­ das muss im Wahlkampf nicht nur der demokratischen Parteien, sondern eines jeden einzelnen selbstverständlich sein. Und genau deshalb geht der Alternativantrag der großen Mehrheit dieses Hauses auch so viel weiter als der vorliegende Antrag der AfD. Ich wünsche mir, dass je- der einzelne Bürger in diesem Land für einen fairen Wettstreit der Meinungen eintritt. Eine freie, gleiche und geheime Wahl, eine Wahl in Respekt vor anderen Menschen und anderen Meinungen, ist der höchste Ausdruck unseres demokratischen Staatsverständnisses.

Europa erlebt eine schwere Krise. Längst sind europafeindliche Bewegungen an die Regierungen vieler EU-Staaten gekommen: Italien, Ungarn, Polen; in Frankreich ist es seit längerem fast soweit und beim Brexit bestimmt bis heute die EU-Skepsis. Das ist eine veritable Vertrauenskrise, die an den Grundfesten der europäischen Werte ansetzt. Emmanuel Macron gibt viele Impulse für ein erneuertes Europa ­ auch wenn wir mit einigen Aspekten von Macrons Rede nicht einverstanden sind.

Und genau deshalb ist es auch so richtig und wichtig, dass der Antrag der Koalition mit dem Titel ,Europäisches Parlament stärken ­ Europäische Verfassung voranbringen` die europäischen Werte, die europäischen Institutionen in den Mittelpunkt stellt. Es geht jetzt darum, über diese Werte zu sprechen und das verlorene Vertrauen wieder herzustellen. Es geht um Werte und um eine bessere Repräsentation der Bürger. Wann, wenn nicht jetzt, ist der richtige Zeitpunkt, die Werte wieder in den Mittelpunkt zu stellen ­ die gemeinsame Basis, auf der das vereinte Europa steht?

Europa braucht wieder eine Vision, ein gemeinsames Ziel, einen gemeinsamen Maßstab. Und da besteht auch der Unterschied zwischen dem Koalitionsantrag und Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie: Werte betonen, Institutionen reformieren, Bürgerbeteiligung stärken ­ das ist das Gebot der Stunde. Ihr Antrag ist ein Abklatsch des SPD- Wahlprogrammes ­ das verstehe ich ja. Viel schlimmer ist aber: Ihr Antrag atmet das Europa von gestern. Sie wollen mehr Umverteilung, mehr Milliarden hier und mehr Milliarden dort, mehr Dirigismus und mehr Planwirtschaft. Sie sprechen kaum über Werte, sobald es konkret wird, sprechen Sie vor allem über das Schaffen von mehr Ansprüchen und darüber, Geld auszugeben.

Wir müssen den Schwächeren in unserer Gesellschaft helfen, ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu führen. Aber Wohlstand für alle entsteht am Ende nicht aus mehr Sozialleistungen, sondern aus mehr Leistung. Aus mehr Ideen, aus mehr Kreativität. Dafür braucht es mutige Reformen. Wir müssen Kräfte, Ideen und Menschen entfesseln, nicht mit Anspruchsdenken ruhig stellen.

Nur eine wohlhabende Gesellschaft hat die Mittel, die wir dringend brauchen, um den Klimaschutz wirklich voranzubringen, um die Digitalisierung voranzubringen, die Infrastruktur der Zukunft und die beste Bildung der Welt zu schaffen sowie auch die Schwächeren teilhaben zu lassen.

Das geht nicht, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, über neue bürokratische Förder- und Ausgleichsprogramme, über schlicht mehr Geld, wo immer es auch herkommt. Die EU ist ihren Grundfesten angegriffen. Man stärkt die EU nicht dadurch, indem man oben mehr Geld drauf- schüttet. Deswegen trägt der Antrag der SPD nicht zur Lösung der Vertrauenskrise der EU bei!

Ich möchte aber auch gerne mit Ihnen diskutieren über die Rolle Europas in der Welt, über eine gemeinsame europäische Armee und damit auch über die europäische Rüstungspolitik.

Wir beantragen daher den Verweis des SPD Antrages Drucksache 19/1368 in den Europa-Ausschuss, sowie die Abstimmung in der Sache zum Antrag 19 Die Ereignisse um den Brexit und um die Urherberrechtsrichtlinie haben gezeigt, wie wichtig es ist, Europa zu gestalten, wie wichtig eine Erneuerung der EU, wie wichtig die Stärkung des Europäischen Parlaments ist, wie wichtig es für jeden Einzelnen ist, an der Wahl des Europäischen Parlaments teil- zunehmen. Jede einzelne Stimme gestaltet Europa.

Wir Freie Demokraten wollen kein Europa, das durch Anspruchsdenken und Dirigismus geprägt ist. Wir wollen kein Europa, das durch Umerziehungs- und Verbotsphantasien geprägt ist. Wir wollen schon gar kein Europa, das durch kleinkarierten Nationalismus, Neid, Missgunst, Mauern und Grenzen geprägt ist.

Wir Freie Demokraten wollen ein Europa der Menschen, ein Europa der Chancen für jeden Einzelnen, ein Europa der Bildung, der Kreativität, der Innovation, ein Europa des Wohlstands, ein Europa der offenen Grenzen für al- le Europäer. Kurz: Wir wollen ein Europa der Freiheit. Und mit diesen in unserem Antrag vorgeschlagenen, institutionellen Reformen, können wir das auch erreichen."


Es gilt das gesprochene Wort.