Stephan Holowaty zu TOP 25 + 67 „Deutsche EU-Ratspräsidentschaft“

Abgeordneter Stephan Holowaty

In seiner Rede zu TOP 25 + 67 (Deutsche EU-Ratspräsidentschaft: Solidarische Akzente setzen! und Europabericht 2019-2020) erklärt der europapolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Stephan Holowaty:

„Die EU steht mit der Corona-Krise vor einer historisch einmaligen Herausforderung. Durch Corona haben sich die Vorzeichen für die deutsche Ratspräsidentschaft in den vergangenen Monaten fundamental geändert. Bereits bisher war die Präsidentschaft mit dem Green Deal, dem mehrjährigen Finanzrahmen, dem Brexit, der Rolle Europas in der Welt und vor allem den zunehmend schwierigen Beziehungen zum Beispiel zu China, Russland, den USA oder der Türkei absehbar eine große Herausforderung.

Außenminister Heiko Maas hat im April eine ‚Corona-Präsidentschaft‘ an-gekündigt. Genau das ist aber zu wenig. Europa braucht eine ambitionierte Zukunftspräsidentschaft, nicht nur eine Krisenpräsidentschaft. Geld auf Probleme zu werfen, ohne neue Wege zu gehen – das ist diese nur zu gut bekannte Form der Lethargie der Großen Koalition. Genau das ist es, was Europa nicht braucht. Investieren in die Gestaltung einer gemeinsamen und starken Zukunft, das ist das Gebot der Stunde. Wo sind denn die jetzt an-gekündigten großen europapolitischen Initiativen der Bundesregierung? Wie steht die Große Koalition zur Zukunft Europas? Die EU-Kommission ist trotz einer Präsidentin von der Leyen eben nicht die Große Koalition in Berlin. Emmanuel Macron hat umfassende Initiativen und Ideen zur Erneuerung der Strukturen der EU auf den Tisch gelegt. Da steht viel Kluges drin, manches ist auch zu diskutieren – aber was ist denn nun die deutsche Antwort im Rahmen der Ratspräsidentschaft?

Ich will nur ein paar der vielen Dinge herausgreifen, die für uns Freie Demokraten für das Europa von Morgen besonders wichtig sind. Erstens: Die Konferenz für die Zukunft Europas muss jetzt und sofort gestartet werden, auch digital, und den Grundstein für eine künftige Europäische Verfassung legen. Europa braucht handlungsfähige, effiziente und schnelle Institutionen. Nur dann wird Europa den aufkommenden Werte-Wettbewerb sowohl innerhalb der Union als auch zum Beispiel mit autoritären Systemen wie in China bestehen können. Europa braucht auch einen Rettungsschirm für den Rechtsstaat, eine weitere europäische Grundwerteinitiative, die Möglichkeit, besser mit Vertragsverletzungen einzelner Mitgliedsstaaten umzugehen.

Zweitens: Der Green Deal muss umgesetzt werden – und zwar smart! Wir Freie Demokraten stehen für eine Klimapolitik, die Anreize für die Entwicklung innovativer, kosten- und emissionssparender Technologien setzt. Ein europaweiter Emissionshandel ist dafür einer der wichtigsten Bausteine. Nur Technologieoffenheit und ein auch langfristig stabiler Regulierungs-rahmen werden der Billion Euro an Investitionen eine Chance für eine echte Wirkung für das Klima und eine CO2-neutrale Gesellschaft geben. Klima-schutz ist eine europaweite Anstrengung. Gut gemeinte nationale Allein-gänge unterlaufen am Ende des Tages das Gesamtziel. Wir erwarten, dass die Gründung einer Wasserstoffunion den Klimaschutz mit einer zukunftssicheren Industriestrategie verbindet.

Drittens: Europa braucht einen zukunftsfähigen, soliden Haushalt. Der mehrjährige Finanzrahmen muss aber auch klare Prioritäten setzen – wirtschaftliche Impulse und Innovationen, Digitalisierung, Bildung und Forschung, grenzübergreifende Zusammenarbeit, europäischer Klimaschutz. Der Haushalt kann nicht ein ‚Wünsch-dir-was‘ nationaler Egoismen befriedigen, sondern muss echten europäischen Mehrwert schaffen. Transferzahlungen schaffen auf Dauer keine Zukunft, sondern Bequemlichkeit und Anspruchsdenken. Das gilt auch für das Wiederaufbauprogramm ‚Next Gene-ration EU‘. Damit dürfen keine alten Strukturprobleme zugeschüttet wer-den, sondern es müssen klare Kriterien gesetzt, neue Perspektiven geschaffen, dringend notwendige Reformen gestützt werden. Und wir Freie Demokraten wollen, dass auch das Europaparlament bei der Ausgestaltung eng mit eingebunden wird. Dabei darf Europa aber auch das Ziel ausgeglichener Haushalte nicht aus dem Auge verlieren. Auch künftige Generationen haben das Recht, ein fittes, starkes Europa voller Chancen und Möglichkeiten vorzufinden – und nicht nur unter einem Berg von Schulden leben zu müssen. Das gehört genauso zu einem lebenswerten Europa wie ein gutes Klima und nur finanzpolitische Stabilität lässt Reserven zu, die auch für künftige Krisen gebraucht werden.

Viertens: Wir Freie Demokraten stehen für den Sprung in die digitale Zukunft. Wir stehen für einen klaren rechtlichen Rahmen mit überzeugendem und handhabbarem Datenschutz. Wir wollen aber auch eine faire und einheitliche Besteuerung digitaler Unternehmen dort, wo sie Umsätze und Gewinne erwirtschaften.

Fünftens: Wir wollen europäische Handelsabkommen, eine starke WTO – gerade jetzt ist ein freier, multilateraler Welthandel auf Basis klarer, gemeinsamer Regeln fundamental wichtig. Wertebasierter Freihandel ist die Basis für Wohlstand und soziale Sicherheit auf der ganzen Welt. Wertschöpfungs- und Produktionsketten müssen nicht im Sinne einer Trumpschen Ab-schottungs- und Protektionismuspolitik nationalisiert werden, aber sie müssen diversifiziert werden, um Abhängigkeiten von einzelnen Regionen zu vermindern. Das bedeutet aber auch, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass zum Beispiel Industrie in Europa weiter eine gute Grundlage findet.

Übrigens – auch ein gemeinsames europäisches Planungsrecht zum Bei-spiel nach dänischem Vorbild muss auf der Agenda stehen. Europa braucht eine moderne, leistungsfähige Infrastruktur für Verkehr, Energie und Wirtschaft.

Sechstens: Wir wollen die Tür für die Menschen im Vereinigten Königreich offen lassen, aber wir wollen auch die Rechtsordnung und Grundfreiheiten der EU bewahren – Binnenmarkt, Zollgrenzen und die Nordirland-Problematik. Das braucht auch auf der britischen Seite lösungsorientierte Partner und kluge Diplomatie. Ob die Sicherstellung des Schengen-Raumes – also offene Grenzen, freies Reisen – die Erneuerung der Lissabon-Strategie – also Europa zum wettbewerbsfähigsten, dynamischsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen – ob eine einheitliche und humanitäre europäische Migrations-, Flüchtlings- und  Asylpolitik, die Abkommen mit der Türkei, der weitere Schutz und Förderung nationaler Minderheiten –  Europa steht vor großen Aufgaben. Die deutsche Ratspräsidentschaft muss genau deshalb eine Zukunftspräsidentschaft sein.

An dieser Ratspräsidentschaft wird am Ende das politische und geschichtliche Erbe der Bundeskanzlerin gemessen. Die nächsten sechs Monate sind entscheidend für die Zukunft Europas. Sie können in die Geschichtsbücher eingehen. Und gerade deshalb muss es heißen: Frau Bundekanzlerin, Schluss mit der Lethargie, an die Arbeit!“