Stephan Holowaty zu TOP 27+56 "Konferenz zur Zukunft Europas starten und Ostseebericht 2020"

der europapolitische Sprecher der FDP Landtagsfraktion, Stephan Holowaty

In seiner Rede zu TOP 27+56 (Konferenz zur Zukunft Europas starten und Ostseebericht 2020) erklärt der europapolitische Sprecher der FDP Landtagsfraktion, Stephan Holowaty:

„Herzlichen Dank für den umfassenden Bericht zu den Ostseeaktivitäten der Landesregierung. Die Ostsee ist für alle Anrainer, auch für unser Land, Chance und Herausforderung zugleich – als Wirtschaftsraum, als geschichtlicher Kulturraum, aber auch als Treffpunkt unterschiedlicher politischer Positionen und Interessen.

Wir wissen natürlich, dass dieser Bericht noch nicht die Lage unter CoronaBedingungen widerspiegelt, aber die grundsätzliche Botschaft wird auch weiterhin dieselbe sein: Kooperation ist der Treibstoff für die Ostseezusammenarbeit. Ob Tourismus, Meeresschutz, die Bewältigung von Altlasten wie Munitionsrückständen, auch die Zusammenarbeit der Regionen in kleinen Projekten teils jenseits der Interessen zentraler Regierungen – über die Ostsee fließen Güter und Dienste, aber auch Ideen und Verständigung. Corona wird vieles auf die Probe stellen. Abschottung, Ängste, aber auch fehlende Möglichkeiten zum persönlichen Austausch stellen Herausforderungen dar. Eine Ostseeparlamentarierkonferenz zum Beispiel lebt zu einem guten Teil vom persönlichen Austausch auch jenseits konkreter Formulierungen in Resolutionen. Das schafft Verständnis und Gesprächskanäle. Ich hoffe sehr, dass wir im nächsten Europabericht berichten können, dass diese Gesprächskanäle weiter offen geblieben sind.

Vor 70 Jahre begann mit der Schumann-Erklärung ein erster zaghafter Schritt einer europäischen Einigung. Heute haben wir auch jenseits von Handy-Roaming, einer gemeinsamen Währung oder der Reisefreiheit im Schengen-Raum enorm viel für Frieden und Wohlstand im ganzen vereinigten Europa erreicht. Aber die Tragik großer Errungenschaften ist, dass sie morgen bereits wieder von gestern sind. Genauso schnell haben sich nämlich auch Krisen mitentwickelt, vom Brexit über Covid-19 bis hin zu den geostrategischen Verschiebungen der letzten Jahre. Diese Krisen zeigen auch die Verletzlichkeiten des geeinten Europas. Die europäischen Institutionen sind schwerfällig, es fehlt eine gemeinsame Außenpolitik, die Orientierung an gemeinsamen demokratischen und freiheitlichen Werten ist nicht mehr in jedem Mitgliedsland selbstverständlich. Ursula von der Leyen ist daher hoch anzurechnen, mit der Initiative zur Konferenz zur Zukunft Europas einen Prozess der Neuorientierung und Weiterentwicklung angestoßen zu haben – denn wer stehenbleibt, der fällt zurück.

Die SPD-Fraktion hat den Anstoß für ein klares Signal des schleswigholsteinischen Landtags gegeben, dass auch unsere Region auf diesen Prozess wartet, sich auch in diesen Prozess aktiv einbringen will, ja, darauf drängt. Dass alle demokratischen Fraktionen diesen Antrag nun gemeinsam einbringen, ist nur folgerichtig. Aber meine Erwartung zur Konferenz zur Zukunft Europas ist nicht nur, geeignete Beteiligungsformate zu entwickeln. Wir Freie Demokraten habe auch klar Erwartungen an die ‚andere Seite‘, an den Rat, die Kommission, das Parlament. Diese Konferenz darf nicht zum Alibi werden, sie darf nicht versanden, sie darf nicht nach dem Motto ‚Wenn du nicht mehr weiterweißt, gründe einen Arbeitskreis‘ betrieben werden.

Die Kommissions-Vizepräsidentin Dubravka Šuica hat bereits klargemacht, dass sie keine Verpflichtung sieht, die in den Debatten angesprochenen Punkte am Ende tatsächlich anzugehen. Wenn am Ende der Konferenz deren Ergebnisse nur ‚weiterverfolgt werden‘, ist mir das ein Stück zu wenig Selbstverpflichtung. Ich erwarte, dass Kommission und Parlament aus ihrer Brüsseler Blase herauskommen und notwendige Veränderungen auch angehen. Ich erwarte, dass der Rat – also die nationalen Regierungen – zuhören, mitarbeiten und Konsequenzen ziehen. Ich erwarte, dass auch Vertragsänderungen – also institutionelle Änderungen – am Ende der Konferenz stehen. Der Wanderzirkus Brüssel-Straßburg ist ein symbolisch wichtiges Thema, aber die Frage einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik, um mit anderen Großmächten auf Augenhöhe zu bleiben, eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik, die Durchsetzung der gemeinsamen Werte, am Ende eine europäische Verfassung – es darf keine Tabus, keine Denkverbote geben. Wenn es der Kommission also ernst ist mit ihrem Reformwillen, dann sind das die Themen, die zu einer demokratischeren und handlungsfähigeren EU führen – auch wenn damit liebgewordene Marotten aufgegeben und alte Zöpfe abgeschnitten werden.

Es wäre übrigens naiv zu glauben, dass nur überzeugte Pro-Europäer an der Konferenz teilnehmen. Die Debatte wird das gesamte Meinungsspektrum umfassen und auch vor Einflussnahme von Interessengruppen und auch fremder Staaten nicht geschützt sein. Hier haben vor allem die demokratischen Beteiligten eine hohe Verantwortung bei der Mitgestaltung der Konferenz.

Die Konferenz für die Zukunft Europas muss einen großen Wurf für die Zukunft Europas landen. Sie darf sich nicht im Klein-Klein verheddern – auch nicht im Klein-Klein regionaler Spezialinteressen.“