„Wir haben uns gewundert, dass es dem Genossen Dr. Stegner ein so großes Anliegen war, diese Große Anfrage der Piraten als festen Tagesordnungspunkt setzen zu lassen.
Denn eigentlich würde ich – als Vorsitzender einer regierungstragenden Fraktion – von der eigenen Landesregierung erwarten, dass sie auch das umsetzt, was die Parteien ihr im Koalitionsvertrag aufgetragen haben. Die Euphorie, mit der Herr Dr. Stegner hier auftritt, erweckt eher den Eindruck, dass die Umsetzung eines Koalitionsvertrages durch die eigene Landesregierung für Sozialdemokraten offensichtlich keine Selbstverständlichkeit ist.
Am 14. Januar dieses Jahres sagte Ministerpräsident Torsten Albig gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, dass die A20 das einzige Versprechen gewesen sei, das die Koalition nicht eingehalten habe. Es folgte die umwerfend logische Begründung, schon heute könne das Land kaum einen Kilometer Autobahn zusätzlich bauen, weil nicht genügend Tiefbaukapazitäten vorhanden seien. Und wörtlich erklärte der Regierungschef laut dpa mit gewohnter rhetorischer Brillanz:
‚Die Menschen und auch die Bagger dafür sind nicht in ausreichender Zahl da – alles, was wir jetzt mehr an Geld da reingeben würden, würde jeden Kilometer nur teurer machen, aber nicht automatisch zu mehr Kilometern führen.‘
An dieser Äußerung sind zwei Dinge interessant: Zum einen ist der regierungsamtliche Hinweis schlicht falsch, dass fehlende Ressourcen bei den Bauunternehmen ursächlich für den Stillstand sind. Das sind Fake News.
Denn die Ressourcen fehlen eindeutig im Verantwortungsbereich der Landesregierung. Es wurde in diesem Bereich seit 2012 viel zu wenig Personal eingestellt, sodass wir im Landesbetrieb Straßenbau heute weniger Planer haben als unter der Vorgängerregierung. Und das grundsätzliche Problem ist noch immer nicht gelöst, wenn wir sehen, dass die ausgeschriebenen Stellen nicht einmal annähernd mit qualifiziertem Personal besetzt werden können. Hier hat in erster Linie der Verkehrsminister versagt.
Zweitens – und dies wird bei dem vorliegenden Bericht der Landesregierung deutlich: Auch der Hinweis des Ministerpräsidenten, dass dies das einzige Versprechen gewesen sei, das nicht umgesetzt wurde, ist falsch.
Und hier nenne ich einige Beispiele, die aus der vorliegenden Großen Anfrage hervorgehen:
Stichwort: Einzelbetriebliche Förderung. Der Koalitionsvertrag ist so klar, wie es nicht klarer geht. Hier heißt es also auf Seite 12:
‚Die einzelbetriebliche Investitionsförderung wird abgeschafft.‘
In der Großen Anfrage der Landesregierung lesen wir nun:
‚Die einzelbetriebliche Investitionsförderung (EBF) wurde auf Grundlage des Koalitionsvertrages einer kritischen Analyse unterzogen. Auf dieser Basis wurde die EBF neu ausgerichtet.‘
Dass sich diese Landesregierung ‚auf Grundlage des Koalitionsvertrages‘ für eine Weiterführung dieser Maßnahme eingesetzt hat, kann nur bedeuten, dass die Verwaltung selbst entschieden hat, den politischen Willen von SPD, Grünen und SSW nicht umzusetzen.
Nächstes Beispiel: Bundesratsinitiative für die Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Die Landesregierung erklärt jetzt in der Antwort auf die Große Anfrage,
‚dass eine Umverteilung und ‚Oben nach Unten‘ im Bundesrat zurzeit nicht mehrheitsfähig ist.‘
Schauen wir uns an, wie die Landesregierungen aktuell zusammengesetzt sind, stellen wir fest, dass die Sozialdemokratie eine Mehrheit im Bundesrat hat – die SPD ist in 13 von 16 Regierungen vertreten. Die Frage drängt sich auf: Wer blockiert dieses Vorhaben, mit dem die Sozialdemokraten seit Jahren die Ungerechtigkeit der Welt bekämpfen wollen? Bodo Ramelow? Oder gar Hannelore Kraft?
Klar ist hier: Spätestens jetzt bekommt der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Martin Schulz ein Glaubwürdigkeitsproblem, wer er beklagt, dass es ungerecht in Deutschland zugeht. Denn es sind Sozialdemokraten, die diese Pläne verhindern.
Ein drittes Beispiel: Die Koalition hat im Bereich der Verkehrsinfrastruktur durchaus Richtiges erkannt. Auf Seite 26 des Koalitionsvertrages können wir lesen:
‚Angesichts des sich rapide verschlechternden Zustands unserer Verkehrswege muss es unser vorrangiges Ziel sein, die Infrastruktur dauerhaft im vollen Umfang betriebsfähig zu halten und eine weitere Substanzschädigung zu verhindern.‘
Im Landesstraßenzustandsbericht dieser Landesregierung steht es Schwarz auf Weiß, dass wir zehn Jahre lang 90 Millionen Euro in unsere Landesstraßen stecken müssen, um dann den Sanierungsstau von fast einer Milliarde – der sich seit 1990 angehäuft hat – abgebaut zu haben.
Im Jahr 2013 zum Beispiel hat Rot-Grün-Blau nicht 90 Millionen, sondern 15,9 Millionen Euro für die Landesstraßen ausgegeben. Im Jahre 2014 waren es rund 27 Millionen, 2015 28,1 Millionen. Und so weiter. In keinem Jahr dieser Legislaturperiode wurde die eigene Zielmarke von 90 Millionen Euro auch nur annähernd erreicht.
Wenn es also das vorrangige Ziel gewesen sein sollte – wie es im Koalitionsvertrag steht – die Infrastruktur in Schuss zu halten, dann hat diese Landesregierung dieses Ziel erstklassig verfehlt.
Gehen wir weiter. Im Koalitionsvertrag lesen wir auf Seite 13:
‚Schleswig-Holstein wird sich zügig für eine Abschaffung der Ermäßigung für Hotels bei der Mehrwertsteuer einsetzen (…).‘
Wir erinnern uns: Die sogenannte ‚Mövenpick-Steuer‘ war der große Kampfbegriff der Streiter für soziale Gerechtigkeit und gegen die Unterdrückung des kleinen Mannes. Und was hat diese Landesregierung erreicht, die nach den Worten des Koalitionsvertrages ‚Stark in Berlin‘ auftreten werde?
In der Antwort auf die Große Anfrage lesen wir auf Seite 62:
‚Schleswig Holstein hat einen Gesetzesantrag zur Abschaffung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für Beherbergungsleistungen eingebracht (Mitantragsteller Bremen und Nordrhein-Westfalen). Der Bundesrat hat jedoch am 2. November 2012 beschlossen, den Gesetzentwurf beim Deutschen Bundestag nicht einzubringen (…). Vor diesem Hintergrund wurde mangels Erfolgsaussicht von weiteren Initiativen Abstand genommen.‘
Wahrscheinlich war es auch hier Bodo Ramelow, der Ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.
Nächstes Beispiel. Koalitionsvertrag, Seite 11:
‚Die Landesregierung erarbeitet ein umfassendes Personaleinsparkonzept. (…) Die Landesregierung beabsichtigt, ausgehend von 2010, bis 2020 einen Stellenabbau von 10 Prozent vorzunehmen bzw. das Personalbudget entsprechend zu reduzieren.‘
Dem Umdruck 18/6078, Anlage 14, können wir entnehmen, dass die Zahl der Planstellen und Stellen im Landeshaushalt seit mindestens 1998 – das war das dort zuletzt dargestellte Jahr – noch nie so hoch war wie derzeit. Im Jahr 2016 waren dies immerhin 58.700. Umsetzung des Koalitionsvertrages? Null.
Apropos Stellenstreichungen – und hier unternehmen wir eine kurze Zeitreise ins Jahr 2011. Der damalige Spitzenkandidat der SPD machte mit einem bahnbrechenden Vorschlag zur künftigen Personalpolitik der Landesverwaltungen auf sich aufmerksam. Im Hamburger Abendblatt vom 9. September 2011 lesen wir:
‚Schleswig-Holsteins SPD ist mit dem wohl radikalsten Sparvorschlag in der Geschichte des Landes in den Wahlkampf gestartet. Spitzenkandidat Torsten Albig kündigte an, ein Viertel der knapp 100.000 Stellen bei Land, Kreisen, Städten und Gemeinden bis 2021 abbauen zu wollen. (…) Den Rotstift will er insbesondere bei den Verwaltungsapparaten ansetzen, etwa bei der Ministerialbürokratie im Kieler Regierungsviertel.‘
Kurze Zeit später ‚konkretisierte‘ Albig nach heftiger Kritik seinen Vorschlag. Wir lesen also weiter im selben Bericht:
‚Er teilte nach der Kritik mit, er wolle 25 Prozent der ‚Aufgaben‘ und die damit verbundenen Stellen abbauen.‘
Im – neuen – Sinne des SPD-Spitzenkandidaten forderte der Koalitionsvertrag dann auch auf Seite 11 in bestechender Klarheit:
‚Eine weitere finanzielle Entlastung von Land und Kommunen soll durch die Fortführung wirksamer Verwaltungsreformen und durch gestraffte Aufgabenerledigung erwirtschaftet werden. Mehrfachzuständigkeiten sollen gebündelt werden und möglichst entfallen.‘
In der Antwort auf die Große Anfrage verweist die Landesregierung jetzt in dieser Angelegenheit auf eine Kleine Anfrage des Abg. Koch aus dem Januar 2015 – sehr aktuell! –, in der deutlich wird, dass lediglich im Bereich der Chemikalienüberwachung Mehrfachzuständigkeiten erkannt wurden. Einspareffekt: ganze acht Stellen seien möglich! Theoretisch.
Stand der Umsetzung im Januar 2015: Die Gespräche dauern an. Und in der aktuellen Großen Anfrage lesen wir jetzt unter Berufung auf diese Kleine Anfrage auf Seite 8:
‚Im Hinblick auf das stellenmäßige Ergebnis (…) dauert der Prozess weiter an.‘
Gemessen an der großspurigen Ankündigung des sozialdemokratischen Spitzenkandidaten ist dieses peinliche Resultat wohl eher als Realsatire zu bezeichnen.
Ich komme zum Schluss: Wenn die SPD diese Anfrage als Bestätigung der eigenen Arbeit versteht, hat sie sie nicht gelesen. Die Landesregierung hat sich bei der Umsetzung von zentralen Punkten entweder verweigert – oder sie hat schlicht versagt.
Der Ministerpräsident erklärte hier am 29. Mai 2013:
‚Wir sind gewählt worden, um zu gestalten und eben nicht nur um zu verwalten.‘
Diesem Anspruch sind Sie nicht gerecht geworden.“