„Wer die HSH Nordbank gegenwärtig verstehen will, kommt an der bewegten Geschichte der Bank nicht vorbei. Und wer eine weitreichende Entscheidung über die Zukunft der Bank und das Geld der schleswig-holsteinischen Steuerzahler treffen will, sollte die HSH gegenwärtig verstehen.
Deshalb müssen wir auch in diesem Hohen Hause über verschüttete Milch reden. Wir müssen darüber sprechen, wie viel Steuergeld dieser Landtag für die Stützung der Bank bisher aufgewendet hat. Und wir müssen auch darüber reden, auf welcher Informationsgrundlage viele Abgeordnete in der Vergangenheit ihre jeweilige Entscheidung für die Milliardenstützung der HSH getroffen haben. Dies alles kann Schlüsse darauf zulassen, wie wir in diesen Wochen mit der HSH umgehen sollten.
Wenn wir über verschüttete Milch sprechen, sollten wir es in jedem Falle ehrlich tun: Dass die Finanzministerin die Chuzpe besitzt und die FDP als parlamentarisch Mitschuldige für das milliardenschwere HSH-Dilemma definiert, hat allerdings eine besondere Qualität. Wenn die damaligen regierungstragenden Fraktionen unsere Forderung für die Aufstellung des Landeshaushaltes 2006, die Anteile der HSH Nordbank abzustoßen, mitgetragen hätten, hätte das Land Schleswig-Holstein Geld in nennenswerter Höhe erhalten – und nicht in Milliardenhöhe versenkt, so wie wir es später erleben mussten.
Und dass Sie in Ihrer Rede erklärt haben, Frau Finanzministerin, in der ‚Regierungsverantwortung‘ von Schwarz-Gelb sei die Absenkung der Garantiesumme von zehn auf sieben Milliarden erfolgt, kann ja nur bedeuten: CDU und FDP seien an dieser Entscheidung Schuld.
Fakt ist: Die FDP hatte zu keinem Zeitpunkt Einfluss auf diese Entscheidung – und das wissen Sie auch. Es ist unerhört und unredlich, dass Sie uns in Mithaftung nehmen wollen, weil Sie Ihre Verantwortung damit kleiner reden wollen!
Vielmehr gehört zur Wahrheit dazu, dass die Krise der Bank in der Regierungsverantwortung von SPD und Grünen begonnen hat – hiervon sagten Sie aber kein einziges Wort, Frau Ministerin. Dass die Grünen schon einmal etwas selbstkritischer mit ihrer finanzpolitischen Vergangenheit umgegangen sind, beweist das Votum von Bündnis 90/Die Grünen im Abschlussbericht des HSH-Untersuchungsausschusses. Auf Seite 301 der Drs. 17/1675 können wir lesen:
‚Im Vorfeld der Mitte 2005 auslaufenden Gewährträgerhaftung deckte sich die HSH in Erwartung höherer Zinsen nochmals in großem Umfang mit billigem Kapital ein.‘
Und auf der gleichen Seite zitieren die Grünen zur Bekräftigung ihrer eigenen Position die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG wie folgt:
‚Die Analyse der Entwicklung des CIP hat ergeben, dass (...) nicht von einem ‚Aufbau‘ der Bestände über den Untersuchungszeitraum zu sprechen ist, sondern vielmehr Umschichtungen innerhalb des Portfolios festzustellen sind. Hierbei sind insbesondere die Verschiebung des Anteils der Investments (...) hin zu ABS-Transaktionen zu nennen: (...) Innerhalb der Produktart ABS-Transaktionen haben die insbesondere ab 2004 erworbenen komplexen Strukturen wie z.B. die synthetischen CDO’s (...) einen hohen Anteil an den in den Jahren 2007 und 2008 aus dem CIP-Portfolio insgesamt realisierten Verlusten, die sich auf EUR 1.331 Mio in 2007 und EUR 1.583 Mio in 2008 belaufen (…).‘
Mit anderen Worten: Falsche Entscheidungen in der Regierungszeit von Rot-Grün haben das Portfolio der HSH für Schwankungen des Marktes anfällig machen lassen. Dass Sie damals allesamt ‚besoffen vom Erfolg‘ waren, gilt heute im Übrigen nicht als Entschuldigung.
Die FDP-Fraktion hat es einmal dokumentiert, dass die großartigen Prognosen, die die führenden Vertreter der HSH Nordbank jedes Jahr über positive Geschäftsausblicke abgegeben haben, meistens innerhalb kürzester Zeit von der Realität eingeholt wurden.
Am 9. April 2008 erklärte die Bank per Pressemitteilung beispielsweise wie folgt:
‚Für das Jahr 2008 geht die HSH Nordbank weiter von einer hohen Unsicherheit an den Finanzmärkten aus. ‚Wir haben jedoch gezeigt, dass wir ein erfolgreiches und krisenfestes Geschäftsmodell haben‘, sagte Vorstandsvorsitzender Hans Berger. ‚Daher werden wir unseren Wachstumskurs fortsetzen.‘ Das Neugeschäft entwickelt sich auch 2008 erfreulich.‘
Am 8. September 2008 hieß es dann:
‚‚Wir rechnen damit, dass die Finanzmarktkrise länger andauert. Mit unserem Programm verbessern wir unsere Wettbewerbsposition und machen unser Haus wetterfest‘, sagte Hans Berger, Vorstandsvorsitzender der HSH Nordbank, anlässlich der Vorlage der Halbjahreszahlen.‘
Am 24. September des gleichen Jahres erklärt die Bank:
‚Ungeachtet der Turbulenzen an den Finanzmärkten hat sich das Geschäftsmodell der HSH Nordbank als robust erwiesen. (…) Mit den jüngsten Kapitalmaßnahmen über zwei Milliarden Euro und dem bereits der Öffentlichkeit vorgestellten Maßnahmenpaket zur weiteren Stärkung der Finanzkraft sieht sich die Bank gut gerüstet, ihr Geschäftsmodell weiter zu fokussieren.‘
Am 15. Januar 2009 berichtete dann die Bild-Zeitung, dass der Verlust der HSH höher sein wird als erwartet. Unter Berufung auf das Umfeld der Bank dürfte das Minus bei bis zu zwei Milliarden Euro liegen. Es werde zudem geprüft, so die ‚Bild‘, ob ein Einstieg des Bundes, ähnlich wie bei der Commerzbank, möglich sei.
Im Interview mit der Bild-Zeitung sagte Aufsichtsratschef Peiner am gleichen Tage:
‚Die Bank ist strukturell gesund. (…) Es wurden und werden keine Steuern hinterzogen. (…) Ich denke, dass die Bank 2011 wieder dividendenfähig ist.‘
Wir wissen heute, dass jeder dieser drei Sätze entweder zu diesem Zeitpunkt schon falsch war oder sich später als falsch herausgestellt hat. Eine schlechtere Trefferwahrscheinlichkeit gibt es nicht.
Und es ging weiter: Im März 2010 erklärte Dirk Jens Nonnenmacher gegenüber der ‚Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung‘, dass die Bank im Jahr 2011 endlich die Verlustzone verlassen werde. Und obwohl der Kurs, der im Jahr 2009 eingeschlagen wurde, laut Pressemitteilung vom 2. März 2011 ‚konsequent‘ gehalten wurde, wurde nun ein neues Zieldatum angekündigt, an dem die HSH Nordbank wieder voll dividendenfähig sein sollte: 2014. Wir wissen, dass auch das nicht gehalten werden konnte.
Dass die HSH selbst hieraus keine Schlüsse gezogen hat, konnten wir bei der Vorlage der Halbjahresbilanz in diesem Jahr feststellen. Per Presseerklärung teilte die HSH Nordbank am 28. August mit, die Bank befinde sich ‚auf einem guten Weg‘ – was nachweislich falsch war. Denn ausweislich der aktuellen Halbjahresbilanz sprechen wir von 23 Prozent notleidenden Krediten – fast ein Viertel – Tendenz steigend! Dies ist geschehen, obwohl sich die Bank durch die Umstrukturierung angeblich auf einem ‚guten Weg‘ befunden hat. Wer glaubt das denn?
So könnten wir noch eine Reihe weiterer Beispiele nennen. Insgesamt lässt sich aber zusammenfassen, dass die Bank stets nach dem Motto verfuhr: ‚Wir verlegen die Beseitigung unseres Problems in die Zukunft, also haben wir heute kein Problem.‘
Im Lichte dieser leuchtenden Zukunftsprognosen von Vertretern der Bank haben die Landesregierung und der Landtag mit Mehrheit mehrfach Entscheidungen gefällt, die sich später als falsch und als finanzpolitisch fatal herausgestellt haben. Mittlerweile sprechen wir von mehreren Milliarden Euro, die wir seit 2008 in die Bank gesteckt haben. Und wir müssen im schlimmsten Fall mit einem zweistelligen Milliardenbetrag rechnen, der in den kommenden Jahren auf den Landeshaushalt zurollt. Ertrag bisher fürs Land: Null.
Ich habe es damals schon erklärt und erkläre es heute noch einmal: Wir sollten die vollmundigen Erklärungen der Bank zumindest einmal kritisch hinterfragen. Denn es liegt doch auf der Hand, dass die Vertreter der HSH nicht aus altruistischen Motiven heraus agieren und den Schutz des Landesvermögens im Blick haben, sondern dass sie eigene Interessen verfolgen. Den Schutz des Landesvermögens müssen wir verantworten – niemand anderes.
Auch aus diesem Grund ist es unausweichlich, dass wir über die Zukunft der HSH Nordbank nicht nach dem Hauruck-Prinzip, sondern auch unter Hinzunahme von kritischen Stimmen in einem geordneten parlamentarischen Verfahren – mit Expertenanhörungen – beraten. Denn es geht vorrangig nicht um die HSH, es geht in erster Linie um die Zukunft unseres Landes.
Eine Entscheidung über Milliarden von Euro sollten wir uns niemals leicht machen und keinesfalls übers Knie brechen, zumal sich diese Schulden in einem strukturellen Defizit niederschlagen werden, das mindestens 150 Millionen Euro betragen wird – auch hier ist die Tendenz eher steigend, wenn wir davon ausgehen, dass die Zinsen in den nächsten Jahren wieder nach oben gehen werden. Eine ordentliche Beratung über ein finanzielles Projekt in einer solchen Größenordnung sind wir den Menschen im Land schuldig.
Und um wie viel Geld es insgesamt geht, haben Sie – Frau Finanzministerin – in Ihrer Rede ganz bewusst ausgeklammert. Als Parlamentarier können wir dies nicht akzeptieren. Ich will einem Modell jedenfalls nicht meine Zustimmung geben, dessen finanzpolitische Tragweite entweder unbekannt ist oder aus bestimmten Gründen verschwiegen wird. Und ich erwarte auch von den Abgeordneten von den Koalitionsfraktionen, dass sie ihre Ministerin hier nicht aus der Pflicht nehmen.
Das Ergebnis, für das sich Olaf Scholz und Torsten Albig feiern lassen wollen, ist alles andere als ein Erfolg – auch wenn ich verstehen kann, dass die Koalitionäre mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln einen Jubelsturm zu entfachen versucht haben. Vielmehr liest sich die angebliche Einigung mit Brüssel wie ein Oktroi – es ist eine Abwicklung auf Zeit.
Und faktisch hätte das Brüsseler Ergebnis fast nicht schlechter ausfallen können. Denn eine kontrollierte Abwicklung heißt doch, dass wir gezwungen sind, die Bank im Zweifel zu jedem Preis zu veräußern. Das wissen potenzielle Käufer doch auch.
Und das grundlegende Problem bleibt, dass die Bank noch immer keine Zukunftsperspektive hat. So erklärte die Ratingagentur ‚Fitch‘ unmittelbar nach der Einigung mit der EU-Kommission, im Hinblick auf die vereinbarten mittelfristigen Privatisierungsbemühungen müsse die Langfristperspektive von ‚BBB-, stable‘ auf ‚BBB-, negative‘ verändert werden. Fitch spricht in seinem Bericht von einem ‚schwachen‘, also kaum tragfähigen Geschäftsmodell.
Vor dem Hintergrund dieser Perspektive erleben wir jetzt aber, wie flexibel manch ein verantwortlicher Abgeordneter seine Argumentationslinie zeichnet. Ich erinnere daran, dass es in der Vergangenheit immer von SPD, Grünen und SSW geheißen hat, einen sogenannten ‚Weißen Ritter‘ werden wir für die HSH Nordbank nicht erwarten können – was ja letztlich nur bedeuten kann, dass die Werte der Bank doch nicht so gut waren, wie immer erklärt wurde.
Jetzt aber müssen wir feststellen, dass die Aussichten, einen ‚Weißen Ritter‘ zu gewinnen, aktuell offenbar sehr gut sind – schenken wir zumindest den öffentlichen Bekundungen der Koalitionsvertreter Glauben. Warum sich die Situation jetzt fundamental verändert haben sollte – zumal sich die HSH in den letzten Monaten mit der Immobilienfinanzierung weitere schwere Klumpenrisiken ans Bein gebunden hat – hat mir aber bisher niemand sinnvoll erklären können.
Und wenn die Möglichkeiten jetzt realistisch sein sollten, einen solventen Käufer zu finden, weil die Bank jetzt konkurrenz- und dividendenfähig sei, wäre es dann nicht sinnvoller, wir diskutierten breit in diesem Parlament über die HSH Nordbank, damit noch mehr potentielle Käufer von diesem großartigen Geschäft erfahren? Müssen wir nicht die Zeit nutzen und weltweit Werbung für diese Bank machen, damit wir die größten finanziellen Risiken für den Landeshaushalt abwenden können? Vielleicht sollten Sie Ihre Argumentation an dieser Stelle noch einmal genau überlegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann Sie nur dringend davor warnen, sich wegen eines Mangels an Informationen dazu verleiten zu lassen, den Einschätzungen weniger anderer über angebliche fiskalische Auswirkungen blind zu vertrauen. Oder sind Sie alle der Auffassung, Sie hätten genug Informationen, um über mehrere Milliarden Euro der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu entscheiden? Hieran zweifele ich ernsthaft.
Einen Hinweis, wieso extrem große Zweifel angebracht sind, gibt die Pressemitteilung des Kollegen Lars Harms vom 19. Oktober zur Einigung mit Brüssel. Das ist – wohlgemerkt – derjenige Abgeordnete des SSW, der als Mitglied des Beteiligungsausschusses am besten informiert sein sollte. In dieser Erklärung heißt es in einer erschreckenden Schlichtheit:
‚Mit der neuen Konstruktion wurde (…) eine Lösung vereinbart, die das Landesvermögen so gut wie möglich schont, da sich die Lasten über mehrere Jahre und nicht nur auf die Länder, sondern auch auf den freien Markt verteilen.‘
Warum die Akteure auf dem freien Markt ein Interesse daran haben sollten, öffentliche finanzielle Lasten zu übernehmen und nicht gewinnorientiert zu handeln, habe ich bis heute nicht verstanden. Die euphorisch vorgetragene Idee, der freie Markt rette das schleswig-holsteinische Landesvermögen, ist so absurd und naiv, dass die Menschen in Schleswig-Holstein mit gutem Grund glauben können, hier mangelt es vielen Entscheidungsträgern mindestens an Informationen.
Der Eindruck, der durch solche öffentlichen Äußerungen entsteht, ist ein Grund mehr, warum wir mehr Informationen brauchen, als derzeit. Es ist ein Grund mehr, eine ordentliche parlamentarische Beratung durchzuführen und auch andere Stimmen zu hören, als diejenigen der Bank oder der Landesregierung. Und es ist ein Grund mehr, dass wir uns gegen den zeitlichen Druck, den die Landesregierung auf das Parlament ausübt, wehren.“