„Es liegt auf der Hand, dass die Integration hunderttausender Flüchtlinge eine historische Herausforderung ist.
Und es ist die Aufgabe von uns hier im Landtag, den Rahmen für diese Integration zu setzen, zu zeigen, wo die Leitplanken sind und die richtigen Weichen zu stellen.
Eines sollte dabei klar sein: Erfolgreiche Integration setzt Teilhabe und Partizipation voraus. Integration allein durch Teilhabe und Partizipation wird aber nicht funktionieren.
Integration ist auch eine Bringschuld von Einwanderern. Und deshalb ist Fördern und Fordern kombiniert mit der Sanktionierung von Integrationsverweigerung genauso wichtig wie gleichberechtigte Teilhabe.
Mit Blick darauf ist der Gesetzentwurf der Union auch durchaus ein zu begrüßender Beitrag. Die Einführung einer Wohnsitzauflage ist ein richtiger Schritt, um kommunale Integrationsangebote auf konkret und planbar vorhandene Menschen auszurichten.
Auch über die Höhe der Integrationspauschale müssen wir zweifelsohne reden. Die Kommunen leisten den größten Beitrag und müssen entsprechend auch finanziell entlastet werden.
Die Frage ist nur, wozu es dafür eines eigenen Gesetzes bedarf?
Das noch größere Problem ist: Ihr Gesetzentwurf, lieber Herr Günther, ist in gewisser Hinsicht ein Etikettenschwindel. Ihnen geht es nicht nur um Integration, Ihnen geht es in erster Linie darum, sich Ihrer eigenen Wert- und Moralvorstellungen zu vergewissern.
Ihr gesamter Gesetzentwurf ist von einem appellativen Charakter durchzogen. Es werden zahlreiche Ziele formuliert, ohne dass diese mit konkreten Maßnahmen oder Verhaltenspflichten hinterlegt werden. So betreiben sie bloße Symbolpolitik ohne praktische Wirksamkeit. (Bisher war das eigentlich dem Ministerpräsidenten vorbehalten.)
Schon Ihr Integrationsziel ist völlig nebulös. Sie wollen alle Migranten und Flüchtlinge im Rahmen ihres ‚Gastrechts‘ auf die ‚Achtung der Leitkultur der Grundwerte‘ verpflichten. Was genau die Leitkultur der Grundwerte sein soll, definieren Sie aber nicht. Wenn Sie es aber offenbar selbst nicht wissen, wie wollen Sie das dann von den verpflichteten Flüchtlingen erwarten.
Allein um Verfassungs- und Gesetzestreue scheint es Ihnen jedenfalls nicht zu gehen, denn dann bräuchten Sie den Begriff der Leitkultur nicht.
Und selbst wenn ich annehmen würde, Sie meinen mit Leitkultur eigentlich eine Wertordnung im Sinne unseres Grundgesetzes, dann ist das immer noch rechtlich bedenklich, weil unser Grundgesetz eben auch dem Gebot der Inklusion verpflichtet ist und gerade Pluralität und kulturelle sowie religiöse Vielfalt gewährleisten soll.
Ihr Integrationsziel, das ja letztlich leitend für das ganze Gesetz sein sollte, ist eine Leerformel, ein juristisches Nullum, das letztlich sogar gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot verstoßen dürfte.
Und diese Substanzlosigkeit durchzieht Ihren gesamten Gesetzentwurf. Das Land soll wahlweise ‚unterstützen‘, ‚Maßnahmen ergreifen‘ oder ‚fördern‘. Welche Maßnahmen genau getroffen werden sollen, was diese kosten und wie sie finanziert werden, verraten Sie nicht.
Und was dann noch überbleibt, hat einen sehr begrenzten Neuigkeitswert. In der Sache erfolgt kein Neuanfang, es werden einfach altbekannte Forderungen wiederholt und zusammengefasst.
Das Gesetz besteht unterm Strich aus völlig unbestimmten Detailregelungen, die den hochtrabenden Titel in keiner Weise rechtfertigen.
Was fehlt, ist ein umfassendes, schlüssiges Integrationskonzept.
Wenn Ihnen nur einfällt, dass der Erwerb von Sprache wichtig ist und Flüchtlinge, die nach sechs Jahren ein bestimmtes Sprachniveau nicht erreichen, die Kosten zurückerstatten müssen, ist das gerade bei diesem so essentiellen Bereich ein Offenbarungseid.
Was wir brauchen, sind konkrete Verhaltenspflichten auf der einen und konkrete subjektive Ansprüche auf der anderen Seite. Und bei alledem müssen wir die Integrationsanforderungen präzise definieren. Erst dann können wir auch die Verweigerung von Integration sanktionieren.
Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf einen Sprachkurs und verpflichtende Integrationskurse.
Es reicht eben nicht aus, nur von ‚Ermöglichen‘ oder ‚Angeboten‘ zu sprechen. Wir müssen Flüchtlingen klare Regeln an die Hand geben, damit sie schnell unsere Sprache erlernen und ausreichend Bildung erwerben, um dann später als selbstbestimmte Mitbürger selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft zu werden.
Wir brauchen auch eine Neustrukturierung und Harmonisierung des DaZ-Unterrichts. Es müssen hier zum einen dringend fachliche Standards gesetzt werden und zum anderen muss sichergestellt werden, dass für jede Klasse geeignete Fachkräfte zur Verfügung stehen. Es kann nicht sein, dass die Qualität des Unterrichts allein vom Engagement des Lehrpersonals abhängt.
Mindestens genauso wichtig ist, dass wir im Bereich der Arbeitsmarktintegration besser werden. Wenn die Integration über Arbeit nicht gelingt, wenn Flüchtlinge ohne berufliche Perspektive in Deutschland verharren müssen, wenn es leichter ist, unter seinesgleichen zu bleiben, dann müssen wir mit der Bildung von weiteren Parallelgesellschaften rechnen. Das können wir nicht wollen.
Deshalb brauchen wir erstens flächendeckende Angebote von Qualifizierungs- und Ausbildungsmaßnahmen – kombiniert mit berufsspezifischen Sprachkursen. Zweitens benötigen wir mehr Fort- und Weiterbildungsangebote. Und drittens die schnellere Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse.
Ausgerechnet in diesem Bereich der Arbeitsmarktintegration besteht der größte Nachholbedarf. Auch bei der Landesregierung.
Ich will gar nicht verschweigen, dass sie in bestimmten Bereichen durchaus reagiert und nachgesteuert haben.
Zur Wahrheit gehört aber genauso, dass Integrationsmaßnahmen in vielen Bereichen nur in Ansätzen vorhanden sind.
Hinzu kommt, dass oft Maßnahmen gefördert werden, ohne dass erstens der tatsächliche Bedarf bekannt und zweitens das notwendige Fachpersonal vorhanden ist. Es macht aber keinen Sinn, unter dem Deckmantel der Integration völlig planlos und unkritisch ein Konjunkturprogramm für die Wohlfahrtsverbände aufzulegen. Die bekommen von Ihnen 1,5 Millionen Euro für Sprachförderung, können aber weder sagen, wie viele Teilnehmer an den Kursen teilnehmen und ob sie genügend qualifiziertes Lehrpersonal für die Kurse haben, noch wird die Wirksamkeit evaluiert. Nicht einmal die Abbrecherquote wird von den Verbänden erfasst.
Richtig ist auch, dass nach Abzug aller Maßnahmen des Bundes oder der Kommunen nicht viele Initiativen übrig bleiben, die originär vom Land sind.
Und diese landeseigenen Modellprojekte sind bislang regelmäßig nur sehr begrenzt wirksam, oder wie eben im so wichtigen Bereich der Arbeitsmarktintegration schlecht geplant.
Ja, Herr Minister Meyer, Sie haben natürlich Recht, wenn Sie sagen, dass hier primär die Bundesagentur für Arbeit zuständig ist. Wenn die Bemühungen des Landes hier aber groß angekündigt werden, dann müssen Sie sich auch daran messen lassen.
Und Fakt ist, dass Sie beim Programm BÜFAA.SH nur die Hälfte der anvisierten Teilnehmerzahl erreichen.
Und Fakt ist auch, dass Ihr Wirtschaftsministerium inzwischen nicht mal mehr davon ausgeht, dass mit dem Programm überhaupt nennenswerte Erfolge für den Berufseinstieg von Flüchtlingen erzielt werden. Und der Grund dafür ist auch noch, dass Sie vergessen haben, Ihr Programm mit den Angeboten der anderen Akteure abzustimmen. Das ist planlos. Sie schaffen bürokratische Papiertiger, die Handlungsfähigkeit suggerieren sollen. Was Sie aber in Wahrheit machen, ist eine sinnlose Förderung ins Blaue hinein.
Da hilft Ihnen auch nicht die simplifizierende Alles-wird-gut-Rhetorik des Ministerpräsidenten, für den die Flüchtlinge eine ‚Vitaminspritze‘ für die Betriebe sind. Das ersetzt keine Politik.
Was wir hier brauchen, ist eine Harmonisierung der verschiedenen Maßnahmen und ein gemeinsames Integrationskonzept aller Akteure. Das ist längst überfällig.
Was wir bei der Debatte um Integration auch nicht vergessen dürfen, ist, dass wir auch über die identitätsstiftenden Voraussetzungen unseres Verfassungsstaates und die Frage nach den Bedingungen und Folgen der Zugehörigkeit von Einwanderern reden müssen.
Unsere Demokratie ist von der Bereitschaft seiner Bürgerinnen und Bürger abhängig, Mehrheitsentscheidungen und die Umverteilungsmechanismen eines Sozialstaates anzuerkennen. Und diese Bereitschaft dürfen wir nicht überstrapazieren.
Deshalb müssen wir auch die Zuwanderung steuern. Und das geht eben vor allem auch über die Begrenzung des Familiennachzuges im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten.
Die EU-Richtlinie zur Familienzusammenführung erlegt dem nationalen Gesetzgeber Verpflichtungen nur für Flüchtlinge auf, nicht jedoch für subsidiär Schutzberechtigte (Art. 3 II Buchst. c). Daher kann der nationale Gesetzgeber – wie es die Bundesregierung unter Beteiligung der SPD getan hat – den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte stärker begrenzen.
Das gilt natürlich auch für syrische Flüchtlinge – je nachdem, welche Fluchtgründe sie geltend machen.
Die Rechtslage ist hier unmissverständlich. Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer individuell verfolgt ist. Das kann der syrische Regimegegner genauso sein wie der Christ in IS-beherrschten Gebieten Syriens.
Die Rechtsstellung als Flüchtling wird aber eben nicht gewährt, wenn Menschen wegen Kriegs- oder Bürgerkriegsgefahren aus ihrem Heimatland fliehen, also vor Gefahren, die die dort lebenden Menschen unabhängig von ihrer religiösen Prägung, politischen Ausrichtung oder einem anderen flüchtlingsrelevanten Merkmal treffen. Das trifft auf die meisten Flüchtenden aus Syrien zu, die sich eben oft auf die allgemeinen Umstände im Land beziehen. Und hier wird seit März 2016 wieder nur subsidiärer Schutz gewährt.
Das wurde so zwar auch von der SPD im Bundestag beschlossen und die Landesregierung hat im Bundesrat auch keinen Vermittlungsausschuss verlangt, aber auf einmal fällt den Regierungsfraktionen auf, dass sie das doch nicht so gut finden.
Und was Sie dabei völlig verkennen, ist, dass der Landtag – unterstützt mit Ihren Stimmen – auch noch eine völlig entgegengesetzte Beschlusslage hat. Wir haben uns hier mehrheitlich für die Einführung eines vorübergehenden Schutzes für syrische Flüchtlinge entschieden. Und diese Rechtsstellung führt, genauso wie es inzwischen auch beim subsidiären Schutz der Fall ist, zu einer Beschränkung des Familiennachzuges. Dem haben Sie hier in einem einmaligen Akt politischer Klarsicht zugestimmt.
Und jetzt vollziehen Sie eine Kehrtwende, ohne dass Sie diese ausreichend begründen können.
Richtig ist, dass in Deutschland bisher zehn Verwaltungsgerichte über diese Praxis entschieden haben und Syrer in jedem Fall Flüchtlingsschutz erhielten. Und zwar allein deshalb – und das sollte man der Vollständigkeit halber auch erwähnen – weil ihnen nach Ansicht der Gerichte erst durch die Stellung eines Asylantrages eine individuelle Verfolgung droht.
Wahr ist zudem auch, dass das OVG Münster eine völlig andere Rechtsauffassung vertritt und unverfolgt ausgereisten Syrern ausdrücklich nur subsidiären Schutz gewährt und ihnen darüber hinaus einen Anspruch auf Abschiebeschutz zuerkennt.
Mit anderen Worten: Egal welche Rechtsstellung ein syrischer Flüchtling letztlich erhält, er wird in keinem Fall nach Syrien zurückgeschickt.
Das Schlimme ist, dass Sie hier Verwaltungshandeln, das auf geltendem Recht und rechtsstaatlichen Verfahren basiert, unter dem Deckmantel einer Humanität als menschenrechtsverletzend desavouieren.
Es werden Gesetze angewendet und Sie prangern dies als etwas Inhumanes an.
Und damit nicht genug – Sie wollen, dass von der Beachtung der geltenden Rechtslage ‚unverzüglich Abstand‘ genommen wird.
Sie wollen weder die Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte abwarten, noch das geltende Recht ändern, sondern die Verwaltung quasi anweisen, die Gesetze im Sinne einer von Ihnen selbst vorgegebenen, vermeintlich humanitären Flüchtlingspolitik anzuwenden.
In Zeiten, in denen viele Bürgerinnen und Bürger den Eindruck haben, in der Flüchtlingspolitik gäbe es eine Herrschaft des Unrechts – was im Kern falsch ist –, will die rot-grün-blaue Küstenkoalition kurzerhand den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung über den Haufen werfen.
Das ist doch grotesk. Sie können doch nicht alle Fälle einfach verallgemeinern und der Verwaltung irgendwelche allgemeingültigen Aussagen vorgeben, nur weil Ihnen diese politisch opportun sind.“