„Bei der Frage, ob rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abgeschoben werden können (und dürfen), ist die Beurteilung der Lage in diesem Land – darüber werden wir hoffentlich noch Einigkeit erzielen – von ausschlaggebender Bedeutung.
Herr Stegner hat gestern in den ‚Kieler Nachrichten‘ seine Antwort auf diese Frage gegeben: Afghanistan zähle nicht zu den sicheren Ländern.
Eine andere Einschätzung gab vor fünf Wochen der SPD-Abgeordnete Niels Annen, als der Deutsche Bundestag am 15. Dezember über die Verlängerung des Afghanistan-Mandats für bis zu 980 Bundeswehrsoldaten beriet und abstimmte.
Herr Annen – der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion erklärte laut Plenarprotokoll (Seite 20905):
‚Man kann zur Sicherheit in Afghanistan keine pauschale Aussage treffen. Ich kenn übrigens auch kein Gerichtsurteil, das zu einem solchen Ergebnis kommt. Ich glaube, trotzdem ist es richtig, dass es, wenn der Rechtsweg ausgeschöpft ist, grundsätzlich die Möglichkeit gibt, Menschen, die keine Bleibeperspektive haben, zurückzuschicken.‘
Mit der Einschränkung durch das Wort ‚grundsätzlich‘ verband der SPD-Bundestagsabgeordnete dann den Appell, dass jeder Einzelfall sehr sorgfältig geprüft werden müsse.
Diese Forderung von Niels Annen findet auch uneingeschränkt die Unterstützung meiner Fraktion; sie entspricht im Übrigen auch den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.
Der Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Bundeseinsatzes in Afghanistan definiert den damit verbundenen Auftrag: ‚die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte zu befähigen, ihrer Sicherheitsverantwortung nachzukommen‘.
Könnte man denn einen solchen Auftrag erteilen, wenn man davon ausginge, er sei nirgendwo in Afghanistan zu gewährleisten?
Falls dieses Land überall so unsicher wäre, dass es selbst Menschen aus Afghanistan nicht zuzumuten wäre, in ihrem eigenen Land zu leben – wie könnte man es dann verantworten, knapp eintausend deutsche Soldaten dort hin zu schicken?
Der vom Auswärtigen Ausschuss beratene Antrag der Bundesregierung hat am 15. Dezember eine Mehrheit von 467 Ja-Stimmen gefunden, bei 101 Nein-Stimmen und 9 Enthaltungen.
Ich kann mir offen gesagt, nicht vorstellen, dass jemand einen solchen Antrag mit beschließen könnte, wenn er anderer Meinung wäre als der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion oder als der Bundesaußenminister, der seine Stimme natürlich ebenfalls für den Antrag seiner Regierung abgegeben hat, ebenso wie fast alle schleswig-holsteinischen SPD-Bundestagsabgeordneten.
Hier, in Schleswig-Holstein, wird nun zur Begründung eines Abschiebestopps nach Afghanistan ein anderes Bild von der dortigen Lage gezeichnet, als es die Entscheidungsträger im Bund zugrunde legen – und wie sie es auch konkret beschreiben – siehe Niels Annen.
Außerdem agieren diverse rot-grüne Landesregierungen völlig anders als die in Schleswig-Holstein, und ebenso auch grün-schwarze bzw. schwarz-grüne Regierungen (Baden-Württemberg, Hessen).
Hamburg zum Beispiel hat sich an den beiden bisherigen Sammelabschiebungen nach Afghanistan beteiligt, gestern mit drei Abschiebungen (darunter die eines Straftäters); Mitte Dezember mit sieben Abschiebungen aus Hamburg (wobei in einem Fall aus Strafhaft heraus abgeschoben wurde.
Nach unserer Kenntnis schiebt Hamburg ausschließlich junge, alleinstehende Männer ab, die keine wirtschaftliche und gesellschaftliche Perspektive in Deutschland haben; des Weiteren auch Straftäter.
Über solche Einschränkungen ließe sich ja auch hier reden; ein pauschaler Sonderweg – sprich: Abschiebestopp – ist dagegen ebenso falsch wie schädlich.
Wir können es nicht akzeptieren, wenn sich die schleswig-holsteinische Landesregierung über vorhandene gesetzliche Regelungen unter Berufung auf vermeintlich höherrangige Überlegungen hinwegsetzt.
Ich wende mich jetzt dem zweiten Themenkomplex zu: Der generellen Frage, wie man sich zur Abschiebung rechtskräftig abgelehnter Asylbewerber verhält.
Die Landesregierung beantwortet die zunehmende Kritik – gerade auch seitens der Kreise, die sich vom Land im Stich gelassen fühlen – stereotyp mit der Feststellung, man setze primär auf freiwillige Ausreisen. So hat es gestern auch Herr Stegner in den ‚Kieler Nachrichten‘ wieder getan, und ebenso der Landesinnenminister kürzlich beim Neujahrsempfang der Elmshorner SPD. Herr Studt nannte als Beleg Zahlen: bis Ende November vorigen Jahres in 2016 rund 900 Abschiebungen, 2.000 freiwillige Ausreisen aus Schleswig-Holstein (Elmshorner Nachrichten 9. 1. 2017, Seite 3).
Nun ist an dem Bestreben, möglichst viele freiwillige Ausreisen zu erwirken, gar nichts auszusetzen. Als Rechtfertigungsargument führen die Zahlen von Herrn Studt aber völlig in die Irre.
Das Magazin ‚Focus‘ nennt die bayerischen Zahlen (für das erste Halbjahr 2016): rund 1.500 Abschiebungen, 5.000 freiwillige Ausreisen – also fast dreieinhalbmal so viele ‚freiwillige‘ Rückführungen wie Abschiebungen. Schleswig-Holstein kommt nicht einmal auf das zweieinhalbfache Übergewicht der freiwilligen Ausreisen. Folglich steht Bayern bei der Präferenz für die ‚humanere‘ Variante viel besser da als der sogenannte ‚echte Norden‘.
Entscheidend ist aber die Summe beider Verfahren: Da kommt Bayern laut ‚Focus‘ auf eine Rückführungsquote von fast 40 Prozent, Schleswig-Holstein lediglich auf gut 26 Prozent (Focus-Online, 17. Juni 2016). Hierzulande besteht also offensichtlich ein Defizit.
Die Landkreise fordern, dass das Land die zentrale Verantwortung für alle Ausreisepflichtigen übernimmt und sie verpflichtet, in Boostedt – im landeseigenen Ausreisezentrum – zu wohnen.
Es kann auch nicht hingenommen werden, dass sich im vorigen Jahr mehr als 200 Personen durch Untertauchen einer rechtswirksamen Abschiebung entzogen haben.
Noch gravierender ist die Frage, was man bei sogenannten ‚Gefährdern‘ tun sollte. Herr Dr. Stegner hat am 27. Dezember (nachzulesen auf den Nachrichtenseiten des NDR im Internet) gefordert:
‚Wenn deren Asylanträge bereits rechtskräftig abgelehnt sind, müssen sie in Haft‘.
Wie aber, meine Damen und Herren, soll man das denn bewerkstelligen, wenn es dafür im Zweifelsfall keine Abschiebehaftanstalt gibt?
Immerhin will Schleswig-Holstein den von Hamburg geschaffenen Abschiebegewahrsam mit nutzen. Bis zuletzt waren die für unser Land vorgesehenen Plätze jedoch gar nicht belegt, weil die (zuständigen) kommunalen Ausländerbehörden mit dem dazu erforderlichen Verfahren offenkundig überfordert sind.
Und da schließt sich der Kreis: Ohne von Landesseite her für solche Fälle eine zentrale Verantwortung zu übernehmen, wird dieses Instrument komplett unwirksam bleiben.
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz hat kürzlich in der ZEIT (11. Januar 2017) ein härteres Vorgehen bei Abschiebungen gefordert. Andernfalls ‚werden wir ein großes Problem bekommen‘, zitiert die Wochenzeitung den Bürgermeister. ‚Dann entsteht ein Legitimationsproblem, das man gar nicht überschätzen kann‘.
Ich sehe es genauso: Wenn der deutsche Staat darauf verzichtet, geltendes Recht durchzusetzen, dann wird in der Bevölkerung die Akzeptanz für eine humane Asyl- und Flüchtlingspolitik über kurz oder lang weitgehend zerstört.
Ministerpräsident Albig hat ja kürzlich gesagt, sein Hamburger Kollege werde im hiesigen Landtagswahlkampf im Hamburger Umland eine wichtige Rolle spielen. Da stellt sich allerdings die Frage: Wird Herr Scholz dort die Hamburger Parteilinie vertreten oder die schleswig-holsteinische?
Eine letzte Anmerkungen zu den ‚sicheren Herkunftsländern‘: Algerien, Marokko und Tunesien so einzustufen, würde niemanden, der tatsächlich dort Verfolgung erlitten hat, von einem humanitären Schutz oder vom Asylrecht ausschließen. Die Verfahren, die bei diesen Ländern fast immer mit Ablehnung enden, könnte man so jedoch wirksam beschleunigen.“